Artikel 4. Die Standesherren. 125
„fortan nur im Wege besonderer Gesetze“ erfolgen solle. Wie das Gesetz
vom 10. Juni 1854, so gilt auch das vom 15. März 1869 im ganzen
Staatsgebiete (M vRg 2 45 Anm. 1). Auf Grund des Gesetzes vom
15. März 1869 ergingen drei Spezialgesetze: vom 27. Juni 1875 (GS 327),
die beiden andern vom 25. Okt. 1878 (GS 305, 311).
Die Frage, welche Vorrechte die Standesherren heute zu beanspruchen
haben, entscheidet sich natürlich in erster Linie nach den Reichsgesetzen
und, soweit solche nicht bestehen, nach den Landesgesetzen; die Landesgesetz-
gebung ist in diesem Falle von allen Beschränkungen frei und bedarf,
wenn sie standesherrliche Privilegien gewähren, abändern, aufheben
will, weder der Zustimmung des Reichs (welches die Rolle eines
Patrons der Standesherren von dem ehemaligen Deutschen Bunde nicht
geerbt hat, vgl. v. Seydel, Komm. zur RV. 315ff.) noch der Zustimmung
der Standesherren. Der Grundsatz, daß, wie das objektive Recht, so
auch die auf ihm beruhenden Ansprüche und Privilegien dem gesetz-
gebenden Willen des Staates einfach unterworfen sind, daß es mithin
wohlerworbene Rechte dem Gesetzgeber gegenüber nicht geben kann (val.
auch oben 94), gilt, und zwar unbeschränkt, auch den Standesherren
gegenüber. Die Gültigkeit eines Staatsgesetzes ist niemals von der Zu-
stimmung derjenigen Privatpersonen abhängig, welche von ihm betroffen
werden. Richtig Arndt, Komm. 84, ganz verfehlt dagegen Zorn bei
vRZ 2 46ff. Die Ausführungen Zorns durften auf kräftigen Widerspruch
rechnen und haben ihn gefunden: Jellinek, Der Kampf des alten mit
dem neuen Recht (Heidelberger Rektoratsrede von 1907) S. 29 Nr. 16.
Zorn hat darauf, im Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 2 177,
178, seine Ausführungen vR3# 2 45 ff. dahin deklariert, daß sie lediglich
als ethische, im Sinne der „Gerechtigkeit und Billigkeit“ zu stellende
Forderungen an die Staatsgesetzgebung zu verstehen seien.
Die einschlägigen preußischen Landesrechtsnormen sind in nach-
stehender Reihenfolge anzuwenden: primär die allgemeinen (für alle preuß.
Standesherren geltenden) Gesetze, z. B. das Gesetz vom 18. Juli 1892 betr.
die Aufhebung der Befreiung von ordentlichen Personalsteuern gegen
Entschädigung, subsidiär die Sondergesetze bzw. Rezesse für die einzelnen
Familien und die dort in bezug genommenen älteren Rechtsquellen:
Bundesakte, V. vom 21. Juni 1815, Instr. vom 30. Mai 1820 (oben S. 121).
Durch Reichsgesetz ist den Standesherren zugestanden: 1. das
Recht der Autonomie im sachlichen Bereiche ihrer „Familienverhältnisse
und Güter“ und „nach Maßgabe der Landesgesetze“ (EB## Art. 68).
Dieses Recht besteht also nur, insoweit es durch die Landesgesetze nicht
aufgehoben oder beschränkt ist. Vgl. hierzu die oben mehrfach zitierte