Contents: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

128 8 18. Die Feststellung der Staatsform. 
Art. 107, S. 581), Befragung des Volkes (Verfassungsre- 
ferendum, S. 95). Als verfassungsändernd werden aber 
hierbei nur Vorschriften betrachtet, die das geschriebene 
Verfassungsrecht ändern (unten 2 und S. 231). 
2. Verfassung im formellen Sinn (Ver- 
fassungsurkunde). 
Die formelle Zusammenstellung aller Verfassungs- 
vorschriften in einer Urkunde ist erst in neuerer Zeit üb- 
lich geworden. Sie steht in Zusammenhang mit der 
naturrechtlichen Anschauung von der Vertragsnatur des 
Staates (S. 48). Da die Staatsverfassung auf einen Ver- 
trag zurückgeführt wird, erscheint es erforderlich, die Ver- 
fassungsbestimmungen wie sonstige wichtige Verträge aufzu- 
zeichnen. Dies wurde zuerst in den durch englische Kolo- 
nisten auf amerikanischem Boden gegründeten Gemeinwe- 
sen üblich. Die auswandernden Kolonisten schlossen un- 
tereinander Pflanzungsverträge (Plantation covenants) 
ab (S. 50), durch die sie sich wechselseitig zur Gründung 
eines Staates, zur Einsetzung von Behörden und zum 
Gehorsam diesen gegenüber verpflichteten, und ließen sich 
diese Grundsätze von den Oberherren der Kolonie (der 
Krone oder dem von der Krone dazu ermächtigten Grund- 
besitzer) in einer „Charte“ bestätigen. Als die amerika- 
nischen Kolonien selbständige Staaten wurden (1776, 
S. 176), verwandelten sich diese obrigkeitlich bestätigten 
Verträge in Verfassungen. 
Die Verfassungsurkunden der Nordamerikanischen 
Unionstaaten haben auf die Verfassungsentwicklung der 
französischen Revolutionszeit (S. 99 f.) eingewirkt und sind 
somit die Vorbilder aller heutigen Verfassungen. 
Die erste europäische geschriebene Verfassung ist die 
Constitution française vom 3. September 1791 (S. 99). 
Sie wurde das Vorbild der spanischen (1812), norwegi- 
schen (1814), portugiesischen (1812), belgischen Verfas- 
sung (1831), und hat durch die letztere die preußische 
VU. beeinflußt (S. 146), obwohl diese nicht, wie die vor- 
genannten auf der Volks-, sondern auf der Fürstensou- 
veränität beruht. 
Keine geschriebenen Verfassungen haben 
England und Ungarn, daher auch keine Sondervorschriften
	        
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