Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artilel 6. Die persoͤnliche Freiheit. 135 
Festnahme, Verwahrung, ferner an Belästigungen, welche unter dem 
Titel der polizeilichen Beaufsichtigung verhängt werden könnten. Eben 
diese Entstehungsgeschichte lehrt aber auch, daß Wort und Begriff der 
„Beschränkungen“ nicht eng, sondern weit auszulegen sind. Die vom 
OVG hiergegen — gelegentlich, Entsch. d 420 — geäußerten Bedenken 
sind nicht begründet, wie denn gerade das OG zu einer weiteren 
Interpretation des Art. 5 Satz 2 nicht wenig beigetragen hat, insbesondere 
auch dadurch, daß es — in feststehender Rechtsprechung (Nachweise bei 
v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze Bd. 1 Nr. 234 zum LVG) — die ver- 
waltungsgerichtliche Klage gegen eine polizeiliche Verfügung nicht nur 
demjenigen gibt, an den sie ergangen ist, sondern auch dem, der dadurch 
mittelbar betroffen, nämlich durch die Ausführung der Verfügung tatsächlich 
in seiner persönlichen Freiheit beeinträchtigt wird. (Über die Billigung 
des Prinzips der gesetzmäßigen Verwaltung durch die Rechtsprechung 
des O dgl. oben S. 97 und Anschütz im Pr Vl. 22 84 ff.) An 
der früher von mir (Gegenw. Theor. 113, 114) vertretenen und 
von Hubrich (Ann. 1904 852) gebilligten Meinung, daß Art. 5 nur das 
Grundrecht der Freiheit von willkürlicher Verhaftung gewähre, kann 
hiernach, wie Arndt (Komm. 90, 91) gegenüber zuzugestehen ist, nicht festge- 
halten werden; sie verwechselt die Entwürfe und die oktr V mit dem 
geltenden Text. Aus demselben Grunde muß auch die von Hubrich 
neuerdings (Arch. f. Rechts= und Wirtschaftsphilosophie 2 8ff; Preuß. 
Staatsrecht (19091 165) aufgestellte Ansicht, Art. 5 gewährleiste nur die 
„Freiheit der räumlichen Bewegung im Inlande“ abgelehnt werden. 
Praktische Erheblichkeit besitzt die hiermit bezeichnete Streitfrage übrigens 
nicht, da der Anspruch auf Freiheit nicht nur von willkürlicher Ver- 
haftung, sondern auf Freiheit von jedweder administrativen Wirlkür im 
Hinblick auf das Prinzip des ersten Satzes des Artikels und aus den 
oben S. 96, 97 entwickelten Gründen auch dann ungemindert zu Recht 
bestehen würde, wenn es im zweiten Satze bei der eingeschränkten 
Fassung der Entwürfe und der oktr V verblieben wäre. 
Arlt. 5 gewährleistet nach dem bisher Dargelegten in und mit der 
persönlichen Freiheit den Anspruch auf Unterlassung von Ver- 
waltungsakten, welche ohne gesetzliche Grundlage (contra, 
vlira, praeter lepem) in irgendwelche Betätigungsmöglichkeiten 
der individuellen Handlungsfreiheit eingreifen; er ist, nach 
Wortlaut und Sinn, so allgemein gefaßt, daß er im Grunde alle die 
einzelnen „Freiheiten“, welche in den folgenden Artikeln — insbesondere 
6, 8, 9, 12, 27, 29, 30 — der Vorsicht halber und der konstitutionellen 
Tradition entsprechend noch besonders garantiert sind, schon in sich schließt.
	        
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