136 Artilel 5. Die persönliche Freiheit.
Dies ist die eine Seite der Bedeutung des Artikels. Seine andere zeigt
ihn als Programm und Direktive für die Gesetzgebung. Hierüber val.
unten S. 138ff. Was sonst noch in den Artikel bisher hineingelegt
wurde, läuft meist auf Mißverständnisse hinaus.
4. Unter die Mißverständnisse muß zunächst die verbreitete Meinung
gerechnet werden, wonach Art. 5 den einzelnen nicht nur gegen die
öffentliche Gewalt, sondern auch gegen widerrechtliche Freiheitsbeein-
trächtigungen von seiten anderer Privatpersonen in Schutz nehme
(R8 2 152, Schwartz, Anm. B. zu Art. 5). Diese Ansicht verkennt
das Wesen der in den Verfassungen enthaltenen Freiheits= und
Eigentumsgarantien, das Wesen der Verfassungen überhaupt. Die
letzteren setzen Recht entweder zwischen den Staatsorganen unter-
einander oder zwischen Staat und Individuum, nie aber zwischen
Individuum und Individuum; jene Garantien betreffen ausschließlich
die Möglichkeit von Machtüberschreitungen der öffentlichen Gewalt, ins-
besondere der Verwaltung. Der Schutz gegen rechtswidrige Angriffe, die
von Privatpersonen ausgehen, mögen diese Angriffe den Charakter von
Zivil- oder kriminellem Unrecht haben, liegt ihrem Zwecke völlig fern.
So wenig sich Art. 9 Satz 1 gegen Diebe und Räuber richtet, eben-
sowenig denkt Art. 5 an Delikte wie Freiheitsberaubung, Nötigung
usw. Zweifellos ist es Pflicht des Staates, ausreichende Strafbe-
stimmungen gegen solche Missetaten zu erlassen und für deren Durch-
führung zu sorgen, aber mit den „Rechten der Preußen“ und nament-
lich mit Art. 5 hat das nichts zu tun. — Unrichtig ist es ferner, wenn man,
wie die vorhin Zitierten und Arndt, Komm. S. 92, dem Art. 5 das
Verbot der Leibeigenschast und Hörigkeit entnehmen will. Diese ehe-
maligen Statusminderungen des Bauernstandes sind implicite durch
Art. 4 Satz 2 (oben S. 114) und explicite durch Art. 42 Nr. 2 auf-
gehoben; ihre Wiedereinführung würde natürlich nur durch Gesetz, und
zwar mit Rücksicht auf die angegebenen Verfassungsbestimmungen nur
durch Verfassungsgesetz erfolgen können, aus Art. 5 aber würde dem
kein Hindernis entgegenstehen. Denn nach diesem Artikel reicht die
persönliche Freiheit so weit als das Gesetz sie nicht beschränkt; dies
hat, wie gezeigt, die Bedeutung einer hemmenden Schranke für die
Verwaltung, nicht aber für die Gesetzgebung. Der Gesetzgeber kann
nach Art. 5 jede Freiheitsbeschränkung einführen, die ihm nützlich
dünkt, er könnte also auch (die etwaigen reichsgesetzlichen Hindermisse
hinweggedacht) neue Formen der Hörigkeit schaffen. Eine Schranke
besteht allerdings kraft des Art. 5, auch für den Gesetzgeber: wenn
Satz 1 die „persönliche Freiheit“ gewährleistet, so ist hiermit der Mensch