144 Artikel 6 als Programm und Prinzip.
rechte nicht sowohl Prinzipien, als Programme, Verheißungen künftiger
Gesetze, erblickten.
2, Auslegung. — I. Artikel 6 hat also seine programmatische Seite
wie Artikel 5; s. oben Art. 5 Nr. 6, S. 138. In der Hauptsache aber ist Art. 6,
wiederum wie Art. 5, nicht Programm, sondern Prinzip: Einzelausdruck des
Prinzips der gesetzmäßigen Verwaltung, welches, wie dort der Verhaftung
und verwandten Maßnahmen, so hier der Haussuchung und Beschlagnahme
gegenüber zur Geltung gebracht wird; zu vergleichen Art. 5 Nr. 3, S. 134.
Auch sonst ist hier durchweg von denselben Auslegungsgrundsätzen auszu-
gehen wie bei Art. 5. Der Hausfrieden ist nicht nur den Preußen, sondern
allen gewährleistet, die in Preußen eine Wohnung haben (vgl. Art. 5
Nr. 2); er ist, wie die persönliche Freiheit durch Art. 5 (vgl. das. Nr. 4)
gewährleistet nicht gegen Ubergriffe Privater (Hausfriedensbruch, Besitz-
störung), sondern gegen Machtüberschreitungen der Staatsorgane. Die
beiden Gesetze vom 12. Februar 1850, a. a. O. S. 139, stehen zu Art. 6
in demselben Verhältnis wie zu Art. 5. Auch in den Artikeln 39 und
111 steht Art. 6 neben Art. 5.
II. Der sonst auch als „Hausrecht“ oder „Hausfrieden“, hier mit
„Wohnung“ bezeichnete Bestandteil der individuellen Freiheitssphäre ist
durch den Artikel allen obrigkeitlichen Eingriffen gegenüber in demselben
räumlichen Umfange unter den Vorbehalt des Gesetzes gestellt, wie er
durch die Straf= und Strafprozeßgesetzgebung geschützt ist: vgl. StrGB
{, StrpO §8 104. Zu der „Wohnung" im Sinne des Artikels ge-
hören mithin nicht nur die eigentlichen Wohnräume, sondern auch die
in jenen §§ zur Verdeutlichung des Gesetzeswillens ausdrücklich genannten
„Geschäftsräume“, überhaupt das „befriedete Besitztum“. So die ständige
Rechtspr. des OV, vgl. 6 371 ff. (Wohnung i. e. S.), 27 328 (Back-
stube), 49 210 (Lehrzimmer einer Privatunterrichtsanstalt), Pr VBl 25 795
(Stall und Wagenremisen). Als Wohnungen sind auch die Räume eines
Gasthauses anzusehen, welche einer geschlossenen Gesellschaft ausschließlich
zur Verfügung stehen (OV 1 380).
III. In die „Wohnung“ im vorbezeichneten Sinne darf ohne und
wider Willen des Inhabers nur eindringen, wer ein Recht dazu hat; ein
solches Recht kann sich nur auf ein „Gesetz“ stützen. „Gesetz“ aber ist
hier nichts anderes wie im Art. 5, also gleichbedeutend mit Norm
des geltenden Rechts, einerlei ob dieselbe konstitutionellen oder vor-
konstitutionellen Ursprungs, ein Gesetz im formellen Sinne oder eine
auf formellgesetzlicher Grundlage ruhende Verordnung (z. B. eine
Polizeiverordnung), eng oder weit gefaßt ist. Vgl. oben zu. Art. 5
Nr. 7 S. 140.