152 Artikel 8 beschränkt nicht die gesetzgebende Gewalt.
„Gesetz“ ist nicht nur die von der Legislative selbst ausgehende, sondern
auch jede mit ihrer Ermächtigung rechtsgültig erlassene Norm, z. B. die
Polizeiverordnung; da der Artikel dem Gesetzgeber überhaupt nichts ver-
bieten will (s. unten V), so verwehrt er ihm auch nicht, Strafrechts-
normen, die er selbst erlassen könnte, durch andere zu erlassen oder mit
dem Erlaß andere zu betrauen (val. Rosin, Polizeiverordnungsrecht 51,
75ff.; Fleiner, Institutionen des deutschen Verw)t 69). Die auf Grund
einer rechtsgültig zustandegekommenen Polizeiverordnung oder Gemeinde-
steuerordnung festgesetzte Strafe ist also „in Gemäßheit des Gesetzes“
verhängt. — Siehe auch bei Art. 5 S. 140, 141.
V. Der Artikel beschränkt die vollziehende und richterliche, nicht aber
die gesetzgebende Gewalt: sind jene durch ihn gebunden, so bleibt der Gesetz-
geber frei. Eine Seite dieser Freiheit, das Delegationsrecht, ist bereits in der
vorigen Nr. gezeigt. Andere Seiten sind diese: Zunächst: der Gesetzgeber
kann die Strafe nach seinem Ermessen bestimmen. Indessen hat dieses
Ermessen doch seine Grenzen. Dieselben sind teils verfassungsmäßige
(s. bei Art. 10 S. 177, 178), teils, was schwerer wiegt, reichsrechtliche. Die
reichsrechtlichen sind durch EStrGB 5Ö 5 gesteckt. Andere als die dort
bezeichneten Strafen darf, nach Art und Maß, die Landesgesetzgebung
nicht mehr androhen (vgl. Art. 10 S. 178). Sodann: der Gesetzgeber und
seine Delegatare dürfen ihren Strafdrohungen auch rückwirkende Kraft
beilegen.
Denn in dem Artikel ist das Gegenteil — der Satz, daß Straf-
gesetze keine rückwirkende Kraft haben — nicht ausgesprochen. Nur der
ähnliche Klang der Wortfassung konnte dazu verleiten, den Artikel mit
StrGB 8 2 Abs. 1,
„Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden,
wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung be-
gangen wurde"
zu identifizieren (Schwartz, Anm. A zu diesem Artikel; richtig dagegen
Arndt, Komm. 100). Der zitierte § 2 ist mit Art. 8 nicht gleichbedeutend.
Er gilt auch nur für die Auslegung und Anwendung der Reichs-, nicht
der Landesgesetze. Für das Landesstrafrecht ist er deshalb (sormell) nicht
maßgebend, weil — nach richtiger, wiewohl nicht unbestrittener Meinung
(vgl. v. Liszt, Lehrb. d. Strafrechts § 20) — die partikulare Strafgesetz-
gebung bei Regelung der ihr vorbehaltenen Gebiete an die einleitenden
und allgemeinen Bestimmungen des StrE# nicht gebunden ist. Der
preußische Strafgesetzgeber wäre demnach, falls er aus besonderen Gründen
eine von ihm erlassene Vorschrift mit rückwirkender Kraft ausstatten will,
hieran weder durch Art. 8, noch durch StrB #2 gehindert.