Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

160 Artilel 9 keine Grenzscheide zwischen Gesetz und Verordnung. 
Eigentumsverhältnisse, die privat= wie die öffentlichrechtlichen, durch „selb- 
ständige Verordnungen“ zu regeln; an diesem Satze hinge ausschließlich 
die Notwendigkeit der Gesetzesform für die Normen, welche das Eigentum 
betreffen. Aus dieser Konsequenz und Kehrseite der E. Mayer-Arndtschen 
Auslegung erhellt ihre Unrichtigkeit. Denn wenn dem Satz 1 des Art. 9 
eine so schwerwiegende Bedeutung, wie sie ihm hier beigelegt wird, 
wirklich innewohnte, hätte man ihn sicherlich nicht bei Redaktion der 
Reg Vorl und des KommEntw d. NatVers, wie geschehen, für unnötig 
gehalten und fortgelassen, hätte man ihn nicht, wie die gegebenen 
Belege zeigen, ohne Widerspruch als „Phrase“ bezeichnet. Arndt irrt hier 
wie im Ergebnis so in der Begründung. Letztere beruht auf der An- 
nahme, (Arndt, Komm. 94 und VüArch 20 257) daß Art. 5 und 9 Satz 1 
die preußischen Parallelstellen seien zu jenen Bestimmungen der süd- 
deutschen Verfassungen, welche (bayer. V. Tit. VII # 2, bad. V. § 65) 
den Weg der formellen Gesetzgebung für alle Normen vorschreiben, welche 
Freiheit und Eigentum betreffen. Diese Annahme ist für Art. 9 ebenso 
unrichtig wie für Art. 5 (s. oben bei Art. 5 S. 137), und nicht minder 
unrichtig ist es, im Art. 5 und 9 Satz 1 den in die konstitutionelle Ver- 
fassung übernommenen Ausdruck des der ständischen Gesetzgebung von 1823 
zugrundeliegenden Prinzips zu erblicken, wonach Gesetze, welche „Verände- 
rungen in Personen= und Eigentumsrechten zum Gegenstand haben“, 
mit den Ständen beraten werden sollen. Die hierauf bezügliche Be- 
stimmung, G. wegen Anordnung der Provinzialstände vom 5. Juni 1823, 
III, 2, (oben 18) ist keineswegs, wie Arndt a. a. O. 78 meint, in den 
Artikeln 5 und 9, sondern, nachdem sie zunächst durch § 6 der sogenannten 
Grundlagenverordnung vom 6. April 1818 (oben 35) ersetzt worden 
war, schließlich im Art. 62 der Verfassung aufgegangen. Art. 62, nicht 
Art. 5 oder 9 bildet die geschichtliche Fortsetzung der Ziff. III, 2 des Gesetzes 
vom 5. Juni 1823 und das Seitenstück zu den angeführten Vorschriften 
der bayerischen und badischen Verfassung. Vgl. oben 98, ferner bei Art. 5 
S. 137, 138, unten bei Art. 62 sowie Anschütz, Gegenw. Theor. 170—172 
und Hubrich, Annal. 1904 838 ff., 843ff. 
5. Art. 9 Satz 1 besagt (s. oben 157), daß die Verwaltung in das 
Eigentum und in die Gebarung mit demselben nur eingreifen kann, 
soweit sie ein Recht dazu hat. Ein solches Recht kann sich, da nach 
den allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen über die Notwendigkeit des 
Gesetzgebungsweges, Art. 62, die Gesetzesform für alle Normen, welche 
das Eigentum betreffen, ersorderlich ist, nur auf ein sormelles Gesetz 
oder auf eine kraft formellgesetzlicher Ermächtigung erlassene Ver- 
-ordnung (z. B. eine Polizeiverordnung) gründen, — unbeschadet der
	        
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