Artikel 9. Der zweite Satz bezieht sich nur auf Enteignungen. 165
schädigung könne verlangen, „wer sein Eigentum zugunsten des Staates
aufgeben muß". Es handelt sich also nicht um alle möglichen, sondern nur
um solche Verwaltungsakte, welche das Eigentum dem Einen nehmen,
um es auf den anderen (den Staat) zu übertragen, also um das nach
dem Rechtsbewußtsein schon der Entstehungszeit der Verfassung wohl-
abgegrenzte Institut der Enteignung oder Expropriation. Dasselbe Aus-
legungsergebnis liefert der Ber des Zaussch (oben S. 153, 154); danach
wird Entschädigung nicht geschuldet, wenn erworbene Rechte aus höheren
Rücksichten der Staatswohlfahrt durch Gesetz beseitigt werden, auch nicht,
wenn (vgl. das vom Zaussch als selbstverständlich abgelehnte „Zusatz-
Amendement“) infolge allgemeiner Gesetze eine Beschränkung von Rechten
eintritt, welche aus dem Eigentum sich ableiten, — sondern nur dann,
wenn der Staat „das Opfer des Eigentums fordert, weil er des Objekts
bedarf“. Zu vergleichen sind weiterhin noch die S. 154, 155 zu II an-
gegebenen Außerungen des Abg. Kisker, welcher unter dem Beifalle des
Justizministers und ohne sonst Widerspruch zu finden, als Beispiele
entschädigungsloser (weil nicht expropriativer) Eingriffe anführt die
Beschränkung der Baufreiheit oder des Jagdrechts durch allgemeine
Norm, — sowie die hieran anknüpfenden Worte des Justizministers selbst,
wonach das durch Satz 2 verheißene „Gesetz“ ein „sogenanntes Expro-
priationsgesetz“ sein solle.
Alle diese Aussprüche sagen in wechselnden Worten und Wendungen
dasselbe. Sie bekunden, daß der Satz „nur . gegen Entschädigung
nach Maßgabe des Gesetzes“ nicht jedem, der durch irgendwelche Anord-
mungen oder Akte der öffentlichen Gewalt in seinem Vermögen geschädigt
wird, sondern nur demjenigen Schadloshaltung zusichert, dessen Eigentum
der Staat „aus Gründen des öffentlichen Wohls“ wegnimmt, um es
auf sich oder einen Dritten zu übertragen. Diejenige engere Auslegung,
welche die Worte „entzogen oder beschränkt"“ gleichsetzt mit „enteignet“,
trifft also den Willen des Gesetzgebers. Denn Enteignung (Expropriation)
ist Entziehung und Ubertragung von Privateigentum oder andern
dinglichen Rechten durch Verwaltungsakt, vorgenommen im Interesse
eines gemeinnützigen Unternehmens. Dem Rechtsinstitut der Enteignung
ist die Ubertragung wesentlich; Enteignung ist stets Ubereignung. Nicht
unter den Begriff der Enteignung und daher auch nicht unter den hier
erörterten Entschädigungsgrundsatz fallen daher z. B. gesetzliche Eigentums-
beschränkungen, Beschlagnahmen, Konfiskationen, Besteuerungsakte, poli-
zeiliche Verfügungen, durch welche im öffentlichen Interesse die Ver-
nichtung von Eigentumsgegenständen (Tötung seuchenverdächtigen Viehes,
Zerstörung ansteckungsgefährlicher Sachen, Unbrauchbarmachung gesund-