Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 9. Enteignungsgesetze. 169 
das Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum vom 
11. Juni 1874, welches den praktisch wichtigsten Fall, die Enteignung 
einschließlich der expropriativen Beschränkung und Belastung des un- 
beweglichen Eigentums, ordnet, und zwar kodifikatorisch ordnet, indem 
nur die von ihm im §# 54 aufgezählten Spezialgesetze (geschriebene und 
ungeschriebene Rechtsnormen über Enteignungen im Interesse der Landes- 
kultur ([Agrargesetzgebung, z. B bei Ablösung von Reallasten und Gemein- 
heitsteilungen), der Ent= und Bewässerung, in Deich-, Wiesen- und 
Waldgenossenschaftsangelegenheiten, zugunsten des Bergbaues und der 
Landestriangulation) unberührt bleiben. Neben diese speziellen Ent- 
eignungsgesetze treten dann noch andere: die Enteignungsklauseln des Ge- 
setzes betr. die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen usw. 
(„Fluchtliniengesetz“) vom 2. Juli 1875 und des Gesetzes über Maßnahmen 
zur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und 
Posen vom 20. März 1908 (dessen Art. 1 Nr. 10 man für erforderlich 
hielt, weil es zweifelhaft erschien, ob die „Stärkung und Abrundung 
deutscher Niederlassungen mittels Ansiedelungen“ ein „Unternehmen“ im 
Sinne des Enteignungsgesetzes vom 11. Juni 1874, & 1 sei, zu dessen 
Gunsten nach diesem Gesetz das Enteignungsrecht ohne weiteres in An- 
wendung gebracht werden könne: HdAbg 1907/1908, Sten Ber 53, 71 
und Drucks. 3 Nr. 42 S. 1603). Außer diesen landesgesetzlichen Ent- 
eignungsgesetzen bestehen fermer Reichsgesetze einschlägigen Inhalts, welche 
sich z. T. auf die Immobiliarenteignung (wie das R betr. die Beschränk- 
ungen des Grundeigentums in der Umgebung von Festungen v. 21. Dez. 
1871), z. T. auf die durch das Enteignungsgesetz nicht geregelte Mobiliar= 
enteignung (Reichsgesetze über Kriegsleistungen, Viehseuchen, Bekämpfung 
gemeingefährlicher Krankheiten) beziehen. — Daß das Enteignungsgesetz 
die Direktiven der Verfassung nicht unbeachtet gelassen hat, zeigt sich 
in seinen Is 1, 2, besonders aber # 32 (Vollziehung der Enteignung) 
und §# 34 (Dringlichkeitsverfahren). 
10. Gesetze, welche der Verwaltung Enteignungsrechte (wohlgemerkt: 
wahre Enteignungs., d. h. Übereignungsrechte, zu unterscheiden von ander- 
weiten Eingriffsbefugnissen, oben Nr. 7 S. 165) gewähren, ohne gleich- 
zeitig die Entschädigungsfrage zu regeln, sind, soweit ersichtlich, nicht 
vorhanden. Gesetzt, es bestünde eine solche lex imperfecta, so könnte 
die Lücke, welche sie hinsichtlich der Entschädigung aufweist, von den rechts- 
anwendenden Instanzen nicht, wie oben S. 167 dargelegt, durch Art. 9 
Satz2, sondern nur durch anderweite Entscheidungsnormen, insbesondere 
a#lteres Recht, welches vom Art. 9 unberührt gelassen und auch durch 
die spätere Enteignungsgesetzgebung nicht beseitigt ist, ausgefüllt werden.
	        
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