192 Artikel 12. Bekenntnisfreiheit als Gewissens- und Redefreiheit.
lehre verstanden — so weit interessieren, daß er zu ihren Gunsten von
seiner Gewalt Gebrauch macht. Auch die durch Art. 14 vorgeschriebene
Christlichkeit gewisser Staatseinrichtungen soll ja nach der ausdrücklichen
Bestimmung dieses Artikels Halt machen vor der Religionsfreiheit
(. Art. 14 S. 280, 281). Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses verbietet
also dem Staate jegliches zwingende Eingreifen im Sinne der Partei-
nahme für oder wider irgend ein Bekenntnis.
Die Entfaltung des hiermit gegebenen Begriffes ergibt im einzelnen
folgendes:
Bekenntnisfreiheit ist zunächst und mindestens Gedanken- und
Gewissensfreiheit: die Freiheit, einen Glauben zu haben oder auch
keinen zu haben. Art. 12 verbietet daher schlechthin alle, auch gesetz-
geberische, Anordnungen, welche befehlen, etwas zu glauben oder nicht
zu glauben, — gleichgültig, ob solche Anordnungen überhaupt praktisch
vollziehbar, ob die Gedanken staatlichem Zwange erreichbar sind. Eine
andere und weitere Seite der Bekenntnisfreiheit zeigt sich, wenn man
unter dem Worte „bekennen“ nicht sowohl das Haben als das Außern
einer religiösen ÜUberzeugung versteht; — alsdann bedeutet Bekenntnis-
freiheit soviel wie Freiheit, zu sagen, was man glaubt oder nicht
glaubt und zu verschweigen, daß und was man glaubt. Es ist deut-
lich, wie die Freiheit des „Bekennens“ an diesem Punkte übergeht in
die allgemeine Freiheit der Meinungsäußerung, Art. 27, 28; sie er-
scheint hier als ein Ausfluß der letzteren und teilt deren Beschränkun-
gen (vgl. unten S. 499ff.).
Die Freiheit des Redens ist notwendig zugleich Freiheit des
Nichtbekennens, des Schweigens. Damit hat es folgende Bewandtnis.
Es ist zu unterscheiden zwischen dem Inhalt der subjektiven Glaubens-
überzeugung und der objektiven Tatsache der Zugehörigkeit zu einer
Religionsgesellschaft. Nach ersterem zu fragen ist der Staat unter
keinen Umständen befugt. „Inquisitionen“ in diesem Sinne gehen
nicht sowohl über den „Staatszweck“ hinaus (wie der Kultusminister
v. Ladenberg unbegründeten Besorgnissen gegenüber bei der Revision
des Art. 12 in der II. Kammer zutreffend bemerkte: II. K. 1137),
sondern würden auch jede von der Verfassung zugelassene rechtliche
Möglichkeit überschreiten. Über seine „Privatmeinungen in Religions-
sachen“ braucht niemand sich „Vorschriften“ (ALR II 11 / 3), noch
auch nur Anfragen gefallen zu lassen. Einer an ihn gerichteten
amtlichen Frage, ob er Theist oder Atheist sei, könnte der Befragte
ohne weiteres wegen Verfassungswidrigkeit der Fragestellung die Ant-
wort verweigern, und dies auch dann, wenn die Beantwortung unter