194 Artikel 12. Freiheit der religiösen Erziehung und Propaganda.
oder Aufenthaltswechsels in Gemäßheit der bestehenden Vorschriften
an- und abmelden, Auskunft über das Religionsbekenntnis gefordert
werden dürfen, sofern eine dahingehende Feststellung durch obje ktive
polizeiliche Gesichtspunkte, d. h. im Interesse der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung geboten erscheint. Die Erforschung des Be-
kenntnisstandes als Selbstzweck ist niemals Polizeisache.
Gewährleistet ist die Bekenntnisfreiheit femerhin auch als Er-
ziehungsfreiheit: als das Recht der Eltern und ihrer Stellvertreter, auf
die religiösen Vorstellungen und Überzeugungen der ihrer Erziehung
unterstellten Kinder ungestört durch staatliche Einmischung nach Be-
lieben einzuwirken. Die Darstellung der Normen über die religiöse
Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen gehört nicht hierher; voal.
darüber Endemann, Lehrb. d. bürgerl. R. Bd. 2 Abt. 2, 585 f., Schoen,
Das evangelische Kirchenrecht in Preußen 2 231ff.
Die Freiheit der religiösen Erziehung ist beschränkt durch die Ver-
pflichtung der Eltern, ihre Kinder den Religionsunterricht an der
öffentlichen Schule besuchen oder ihnen einen gleichartigen Privat-
unterricht erteilen zu lassen; vgl. unten 233ff. und bei Art. 21, 387, 388.
Betreffs der Freiheit der Verbreitung religiöser Meinungen und
Lehren in weiteren Kreisen, der Freiheit der religiösen Propa-
ganda gelten mangels besonderer Bestimmungen die allgemeinen Grund-
sätze über das Recht und die Schranken der Rede-, Preß-- und Versamm-
lungsfreiheit. Die religiöse — und nicht minder die antireligiöse — Pro-
paganda ist an und für sich nicht mehr noch weniger erlaubt wie jede
andere durch das gesprochene oder geschriebene Wort bewirkte Ideenver=
breitung. Selbstverständlich kann die Gesetzgebung dieser propagandistischen
Tätigkeit aus staatspolizeilichen Gründen, z. B. zur Aufrechterhaltung des
Friedens unter den verschiedenen Konfessionen Schranken ziehen, denen
dann, gemäß Satz 3 des Artikels (s. unten S. 228ff.) die Religionsfreiheit
nicht entgegengehalten werden darf. So ist, weil und insoweit der Gesell-
schaft Jesu durch das Rö vom 4. Juli 1872 jedwede Ordenstätigkeit im
Gebiete des Deutschen Reichs untersagt ist, auch das Halten öffentlicher
Vorträge durch einen Jesuitenpater eine verbotswidrige, polizeilich zu
verhindernde Handlung: OG 37 430f f. Ferner gehören in diesen
Zusammenhang die Vorschriften der Gewerbeordnung gegen den Vertrieb
von Druckschriften, „welche in religiöser (auch konfessioneller) Beziehung
Argernis zu geben geeignet sind", im Wege des sogenannten fliegenden
und im Umherziehen betriebenen Buchhandels: vgl. GewO s 43,
56 Abs. 3, 4 und dazu Landmann, Kommentar (5. Aufl.) 1 boff,
513 f.