Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 12 verbietet Zwang zur Beteiligung an Kultushandlungen. 195 
Über das Recht zur Erteilung religiösen Unterrichts vgl. unten 
S. 218, 219. 
Eine selbstverständliche Konsequenz des Grundsatzes der Bekenntnis- 
freiheit ist der Fortfall und die Unzulässigkeit jedes vom Staate ge- 
übten oder unterstützten Zwangs zur Teilnahme an irgendwelchen gottes- 
dienstlichen Handlungen. Auch dieser Satz gilt, wie die Freiheit des Be- 
kennens und Nichtbekennens (s. oben S. 192, 193), bedingungslos und er- 
leidet keine Beschränkungen durch das Beamten- und militärische Dienstrecht. 
Verfassungswidrig wäre es nicht nur, selbstverständlich, wenn — wie dies. 
gelegentlich in Bayern beliebt wurde, vgl. v. Seydel, Bayer. StR 3 483 
Anm. 4 — nichtkatholischen Soldaten die Kniebeugung vor dem katho- 
lischen Sanktissimum befohlen würde, sondern auch katholische dürften 
hierzu dienstlich nicht gezwungen werden. Vgl. auch Hinschius-Smend, 
im WeSt VR 1 285, 286. 
Ebensowenig wie zur Beteiligung an Kultushandlungen darf der 
Staat den einzelnen zwingen, einer Religionsgesellschaft beizutreten, in 
ihr zu verbleiben oder aus ihr auszutreten. Die Bekenntnisfreiheit 
sordert volle Freiheit nicht sowohl des Konfessionswechsels als des ein- 
fachen Austrittsrechts mit oder ohne Vorbehalt, einer anderen Glaubens- 
gesellschaft als der, aus der man ausgeschieden, sich anzuschließen. Keine 
Glaubensgesellschaft darf von Staats wegen eine Zwangs- 
genossenschaft sein; faßt sie sich selbst so auf (wie die katholische Kirche), 
so bleibt ihr dies unbenommen, der Staat aber darf zur Durchführung einer 
solchen Glaubenslehre seinen Arm nicht leihen. Schon nach dem AL#FN ist, 
wie oben S. 184 erwähnt, das Band zwischen den Kirchen und ihren Mit- 
gliedern für die letzteren rechtlich nicht unzerreißbar. Jedoch gestattet das 
A#n den Austritt aus einer „Religionspartei“ immerhin nur als Mittel 
zum Zweck des Übergangs zu einer andern (II 11 58#5 40, 41), und der Über- 
tritt zum Judentum galt als verboten. Auch das Patent vom 30. März 
1847 (oben S. 187) kennt, wie im Gegensatz zu Kahl, Lehrsystem des 
Kirchenrechts 321 behauptet werden muß, nur den Konfessionswechsel, 
nicht die Konfessionslosigkeit, doch trifft die am selben Tage wie jenes 
Patent erlassene V. betr. die Geburten, Heiraten und Sterbefälle, deren 
bürgerliche Beglaubigung durch die Ortegerichte erfolgen muß (GS 1847, 
125) in ihrem § 16 Bestimmungen über „solche Personen, welche aus 
ihrer Kirche ausgetreten sind, und noch keiner vom Staate genehmigten 
Religionsgesellschaft angehören“. Daß nach Art. 12 die „Teilnahme an 
irgend einer Religionsgesellschaft“ (ungeachtet der Streichung des hiermit 
bezeichneten Passus der oktr V durch die Revisionskammern, oben S. 189) 
weder Gegenstand staatsrechtlicher Verpflichtung noch Bedingung bürger- 
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