196 Artikel 12. Freiheit des Austritts aus der Kirche.
licher Rechte und Vorteile ist, steht außer allem Zweifel. Im Sinn
dieser durch die Verfassung geschaffenen Rechtslage ist die Austrittsfreiheit
unter voller Anerkennung des Rechts auf Konfessionslosigkeit neu geregelt
worden durch das Gesetz betr. den Austritt aus der Kirche vom 14. Mai
1873 (GS 207). Danach erfolgt der Austritt aus einer Kirche mit
bürgerlicher Wirkung durch Erklärung des Austretenden in Person vor
dem Richter seines Wohnortes. Zuständig ist das Amtsgericht. Gründe
für den Austritt brauchen nicht angegeben zu werden. Das Gesetz bezieht
sich auf alle mit Korporationsrechten versehenen Religionsgesellschaften;
betreffs des Austritts aus andern gelten die allgemeinen Grundsätze über
das Ausscheiden aus gewöhnlichen nicht rechtsfähigen Vereinen. Vgl. über
das Gesetz vom 14. Mai 1873 v R 2 154 Anm. 2 und Fürstenau, Religions-
freiheit 248ff. Das Gesetz regelt nur den Fall des Austritts i. e. S.,
d. h. des Ausscheidens aus einer „Kirche“ (d. h. korporativen Religions-
gesellschaft) ohne gleichzeitigen Eintritt in eine andere; „rücksichtlich des
üÜbertrittes von einer Kirche zur anderen verbleibt es bei dem bestehenden
Recht“ (§5 1 Abs. 2 d. G.). Die in dem Gesetz vorgeschriebene Form —
also die Austrittserklärung vor dem Richter — ist jedoch auch beim
Übertritt zu beobachten, wenn der Ubertretende von den Lasten seines
bisherigen Verbandes befreit werden will (§ 1 Abs. 3 d. G.). Hiervon ab-
weichende und erleichternde Vorschriften trifft das Gesetz vom 23. Mai 1908
(GS# 155), Art. II hinsichtlich des Übertritts zur und des Austritts aus der
evangelisch-altlutherischen Religionsgemeinschaft. Danach ist insbeson-
dere die Befreiung von den Lasten, welche auf der bisherigen Zugehörig-
keit zu einer andern Religionsgesellschaft beruhen, nicht von einer Aus-
trittserklärung vor dem Richter bedingt, kann vielmehr schon durch die
Erklärung des Beitritts bei dem Geistlichen der evangelisch-altlutherischen
Gemeinde erlangt werden. —
Die Bekenntnisfreiheit ist, als objektives und als subjektives Recht,
ebenso wie die andern Emanationen der Religionsfreiheit (s. oben S. 190)
nicht auf den Kreis der Staatsangehörigen beschränkt, sondern kommt
allen zugute, welche in Preußen wohnen und sich aufhalten. Schon im
friderizianischen Staate konnte nicht nur der Preuße, sondern jeder-
mann in Preußen nach seiner Fasson selig werden; die # 1 ff. II 11
ALR reden, um hierauf nochmals hinzuweisen (vgl. oben S. 184), nicht
von Untertanen oder Bürgern, sondern von den „Einwohnern“ des
Staates, behandeln also die Glaubensfreiheit durchaus nicht als Privileg
der Inländer, sondern als territorial geltenden Grundsatz. Daran hat,
wie Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Art. 12 beweisen, die Ver-
fassung sestgehalten, und dies ist auch der prinzipiell allein richtige Stand-