Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

200 Artikel 12. „Religionsgesellschaft“ im Sinne des ALmt. 
einzusehen, warum die Verfassung in ihrer Ausdrucksweise sich gerade 
an das Landrecht und nicht an ein anderes, nur in einem Teile des 
Staatsgebietes geltendes Gesetz angeschlossen haben soll (ein Gesichts- 
punkt, der auch schon bei der Revision der Verfassung, I. K. 965, von 
Bornemann, auf den sich vR 2 164 Anm. 1 beruft, zutreffend hervor- 
gehoben wurde). Zweitens deckt sich die Erstreckung des Ausdrucks 
„Religionsgesellschaften“ auf alle möglichen Arten von religiösen Ver- 
einigungen, insbesondere die katholischen Orden und Kongregationen, 
nicht mit dem sonst und heute allgemein üblichen Sprachgebrauch. 
Drittens und vor allem ist die Begriffsbildung und bestimmung des 
A#n von der späteren preußischen Gesetzgebung, insbesondere dem 
Patent, die Bildung neuer Religionsgesellschaften betreffend, vom 
30. März 1847, verlassen worden. 
„Religionsgesellschaft“ ist nach dem ALR im Grunde soviel wie 
„religiöse Gesellschaft", „Verein zu religiösen Zwecken“. Der gegenwärtige 
Sprachgebrauch stimmt hiermit nicht überein; er versteht unter „Re- 
ligionsgesellschaft“ etwas wesentlich Engeres. Jede Religionsgesellschaft 
ist eine religiöse Gesellschaft, aber nicht jede religiöse Gesellschaft eine 
Religionsgesellschaft. Der Religionsgesellschaft ist vor allem eines 
wesentlich: eine bestimmte, selbständige, ihr eigene Glaubenslehre, 
ein „Bekenntnis"“. Vgl. die klaren Ausführungen v. Seydels hierüber, 
Bayer. StR 3 486, 487 (der für dasienige, was sonst und hier mit 
„Religionsgesellschaft“" bezeichnet wird, den gleichwertigen Ausdruck 
„Glaubensgesellschaft" angenommen hat); gut auch v. Bonin, us re- 
formandi 118: „Das Kennzeichen der Religionsgesellschaft ist das 
Bekenntnis.“ 
„Religionsgesellschaft“ ist mit anderen Worten soviel wie „Kon- 
fession"“, — nicht im theologisch-dogmatischen Sinne dieses Wortes, 
sondern im Sinne einer äußeren Gemeinschaft, eines sozialen Gebildes. 
Religionsgesellschaft ist die gesellschaftliche Organisation der 
Anhänger eines und desselben, bestimmten und besonderen 
Glaubensbekenntnisses; vorausgesetzt, daß die betreffende Personen- 
mehrheit über den Kreis einer einzelnen Familie bzw. häuslichen Gemein- 
schaft hinausreicht. In Übereinstimmung hiermit sieht das bayerische Reli- 
gionsedikt (zweite Verfassungsbeilage) von 1818, 5 3, die Absicht, eine 
neue Religionsgesellschaft zu gründen, dann als vorhanden an, „sobald 
mehrere Familien zur Ausübung ihrer Religion sich verbinden wollen“. 
Ihrer Religion: dies ist das Wesentliche. Die Religionsgesellschaft 
unterscheidet sich von anderen Arten religiöser Vereinigungen durch die 
Besonderheit des ihr eigenen Glaubensbekenntnisses.
	        
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