Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 12. „Religionsgesellschaft“ im Sinne des Patents v. 30. März 1847. 201 
Ganz in diesem Sinne verwendet auch das Patent, die Bildung 
neuer Religionsgesellschaften betreffend, vom 30. März 1847 (vgl. oben 
Nr. 1 S. 187) den Ausdruck „Religionsgesellschaft". Die durch dieses 
Patent mehr verheißene als wirklich gewährte Freiheit der religiösen 
Gemeinschaftsbildung bezieht sich nicht auf alle möglichen Arten von 
Vereinen zu religiösen Zwecken, sondern nur auf „die Vereinigung 
zu einem gemeinsamen Bekenntnisse und Gottesdienste“. 
Sie soll denjenigen zugute kommen, „welche in ihrem Gewissen mit 
dem Glauben und Bekenntnisse ihrer Kirche nicht in Übereinstimmung 
zu bleiben vermögen und sich demzufolge zu einer besonderen 
Religionsgesellschaft vereinigen“. 
Das Kennzeichen des Begriffes der Religionsgesellschaft im Sinne 
des Patents von 1847 ist mithin die Besonderheit der Glaubenslehre, 
des „Bekenntnisses“. 
Typische Anwendungsfälle des Begriffs sind vor allem die 
Landeskirchen (,die in Unsern Staaten geschichtlich und nach Staats- 
verträgen bevorrechteten Kirchen“: Abs. 1 des Patents von 1847). Neben 
diesen stehen die in Dogma und Organisation von ihnen abweichenden 
„neuen" oder „besonderen“ Religionsgesellschaften, die sonst wohl 
(nicht im Patent) auch so genannten Sekten. Beide Kategorien haben 
gemeinsam, daß sie allen, aber nur auch den Anhängern ihres Glaubens- 
bekenntnisses Aufnahme gewähren; „Religionsgesellschaft“ im 
Sinne des Patents von 1847 ist die gesellschaftliche Or- 
ganisation eines bestimmten Bekenntnisses. 
Diese engere Bedeutung des Wortes Religionsgesellschaft ist die 
heute allgemein angenommene und sprachgebräuchliche. Die Unbestimmt- 
heit und Verschwommenheit der landrechtlichen Begiffsbildung (oben 
S. 199) ist damit beseitigt worden und kann als Auslegungsbehelf nicht 
mehr in Betracht kommen. Nicht der landrechtlichen, sondern der 
neueren, durch das Patent von 1847 in die Gesetzgebung einge- 
führten Anschauung und Ausdrucksweise entspricht es, wenn die Ver- 
fassung im Landeskirche und Sekte logisch gleichberechtigte Verkörpe- 
rungen des Gattungsbegriffs Religionsgesellschaft erblickt (Art. 15: „die 
evangelische und römisch-katholische Kirche, sowie jede andere Religions- 
gesellschaft"“), die „geistlichen Gesellschaften“ jedoch, vorab die katholischen 
Orden und Kongregationen, von dem Gattungsbegriff ausscheidet und 
sie ihm gegenüberstellt (Art. 13; vgl. Hinschius. Preuß. Ki 11 Anm. 26). 
Hiermit ist der Weg zum richtigen Verständnis des Art. 12 gebahnt. 
Der Begriff „Religionsgesellschaft" im Sinne der Verfassung, 
insbesondere auch im Sinne des Artikels 12, erfordert: 1. Einen ultra-
	        
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