204 Art. 12. Vereins= u. versammlungspoliz. Stellung d. Religionsgesellschaften.
solcher lokalen Gemeinschaften zu beschränken, sondern kann nach Be-
lieben der Beteiligten auch weitere Verbände schaffen. ·
Die Rechtsstellung einer unter der Herrschaft der Verfassung neu
sich bildenden Religionsgesellschaft ist im Normalfalle, d. h. soweit und
solange ihr nicht durch besondere Gesetze (die man als moderne
Außerungsformen des in dem ius reformandi liegenden ,ius recipiendi:“
bezeichnen kann) besondere und weitergehende Rechte verliehen werden,
folgende: die betreffende „Sekte“ gilt privatrechtlich als nicht rechts-
fähiger Verein (BGB K# 54), verwaltungsrechtlich als Verein im Sinne
des RV, jedoch nicht notwendig und regelmäßig nicht als ein politischer;
sie besitzt endlich unmittelbar auf Grund der Verfassung die volle
Kultusfreiheit: das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung.
Auf die privatrechtlichen Verhältnisse und die Kultusrechte ist noch
in gesonderten Betrachtungen zurückzukommen, auf jene bei Art. 13,
auf diese unten S. 214ff., so daß hier nur die Stellung der Religions-
gesellschaften im öffentlichen Recht der Vereine und Versammlungen
(Vereins= und Versammlungspolizeirecht) zu erörtern bleibt.
I. Es ist zunächst die Rechtslage, wie sie vor dem RVG auf Grund
des Pr LG vom 11. März 1850 bestand, zu betrachten.
Die preußische Gesetzgebung über Vereine und Versammlungen
hat seit der Verfassung, ausgesprochenermaßen seit jener Bezugnahme
auf die Vereinsfreiheit in dem die Religionsfreiheit verbriefenden Artikel
der oktr V (s. oben S. 188) den Standpunkt befolgt, nicht zwar die
Kirchen i. e. S., wohl aber alle einfachen, nichtprivilegierten Religions-
gesellschaften (Sekten) den allgemeinen Vorschriften über Vereins- und
Versammlungspolizei zu unterwerfen. Von diesem Standpunkt aus war
es nicht sowohl unfolgerichtig als prinzipwidrig, die Sekten als solche,
bloß weil sie Religionsgesellschaften sind, spezifisch zu beschränken; die
Frage konnte bei der gesetzlichen Regelung der Versammlungs- und
Vereinsfreiheit nur die sein, ob die Religionsgesellschaften denjenigen
Kategorien von Vereinen zuzuweisen seien, welche der polizeilichen Auf-
sicht und Einwirkung in erhöhtem Grade unterliegen (Vereine, die eine
Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten bezwecken, politische Vereine).
Die dem Pr V vom 11. März 1850 zugrundeliegende (Not-) Verordnung
vom 29. Juni 1849, GS 221, (val. nächste Seite) hatte diese Frage
ausdrücklich verneint, indem sie im § 2 Abs. 3 vorschrieb: „Die Be-
stimmungen dieses und des vorhergehenden Paragraphen (nämlich die
spezisischen Beschränkungen derjenigen Versammlungen und Vereine, welche
sich mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen) beziehen sich nicht
auf kirchliche und religiöse Vereine und deren Versamm-