Artikel 12. Die Religionsgesellschaften und das RWV. 209
kirchlichen und religiösen Vereine und Versammlungen sind der Herrschaft
des RVW nicht „überhaupt", d. h. schlechthin und unbedingt, sondern nur
insoweit entzogen, als landesrechtliche Vorschriften vorhan-
den sind, welche ihre Verhältnisse anderweit und abweichend
von dem RV regeln. Der zitierte Passus des § 24 RVG
hält nur die ausdrücklich und speziell auf das religiöse und kirch-
liche Assoziationswesen bezüglichen Landesgesetze aufrecht; „fehlt es an
solchen, so hat es bei den Vorschriften des RVG sein Bewenden“
(so, richtig, Friedenthal in seiner Ausgabe des RVG, 77), — ebenso
wie etwa in einem Einzelstaate, in dem landesgesetzliche Bestimmungen
der im EBGB Art. 84 vorbehaltenen Art (s. u. Art. 13 S. 237, 255)
nicht bestehen, der Erwerb der Rechtsfähigkeit seitens religiöser Vereine
sich nach den allgemeinen Normen des BB vollzieht. Man kann also
auch nicht mit Delius, Deutsches Vereins- und Vers.-R. 523 und Wolzen-
dorff, VArch 18 480 ff., 517 ff. behaupten, das Pr VG bestehe, so-
weit kirchliche und religiöse Vereine und Versammlungen in Betracht
kommen, noch unverändert fort. Diese Behauptung geht fehl. In
Sachen des kirchlich-religiösen Assoziationswesens gelten zurzeit nicht
mehr die allgemeinen Vorschriften des Pr VG, d. h. diejenigen, die
auch auf religiöse Vereine und Versammlungen anwendbar sind, sondern
lediglich die besonderen: die sich nur auf solche Vereine und Ver-
sammlungen beziehen. Von einer „unveränderten“ Fortgeltung des
Pr VG, z. B. seiner Strafbestimmungen (ein Rechtszustand, der aller-
dings, um mit Delius a. a. O. zu reden, „etwas eigentümlich“ sein
würde, — wenn er eben vorhanden wäre) kann mithin keine Rede
sein. Diese Fortgeltung könnte allerdings durch die preußische Landes-
gesetzgebung auf Grund des § 24 RVG angeordnet, es könnte be-
stimmt werden, daß für die vereins- und versammlungspolizeiliche
Behandlung des kirchlichen und religiösen Assoziationswesens das bis-
herige preußische Recht, insbesondere das Pr VLG maßgebend sein solle.
Ein solches Landesgesetz ist aber nicht ergangen, und solange es nicht
ergangen ist, gelten für Verhältnisse der hier erörterten Art in Preußen
nur mehr diejenigen Vorschriften des Pr VW, die den Charakter aus-
drücklicher Spezialbestimmungen über kerchlich-religiöses Asso-
ziationswesen haben; im übrigen tritt das RVG ein. Vorschriften
dieses Charakters sind: 1. § 2 Abs. 3 Pr VG (oben S. 205 wiedergegeben),
2. die Bestimmung des § 10 daselbst, wonach „kirchliche Prozessionen,
Wallfahrten und Bittgänge, wenn sie in der hergebrachten Art statt-
finden“, einer vorgängigen polizeilichen Genehmigung und selbst einer
Anzeige nicht bedürfen. Beide Vorschriften sind begünstigender Natur:
Anschütz, Preuß. Berfassungs= Urkunde. I. Band. 14