Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

210 Artikel 12. Die Religionsgesellschaften und das RVG. 
sie eximieren die von ihnen genannten kirchlichen und religiösen Ver- 
eine, Versammlungen und Veranstaltungen von allgemeinen Be- 
schränkungen, denen sie andernfalls unterworfen wären. Die Aufrecht- 
erhaltung dieser Privilegien bei Aufhebung der Regeln (d. h. des Pr VB), 
von denen sie Ausnahmen darstellen, kann nichts anderes bedeuten, 
als daß sie auch den neuen Regeln, dem RV gegenüber Geltung 
behaupten sollen. Waren nach § 2 Abs. 3 Pr VG die mit Korporations- 
rechten ausgestatteten Religionsgesellschaften und ihre Versammlungen 
von den in § 1 und 2 Pr VG geregelten Anzeigepflichten, polizeilichen 
Überwachungs- und Auflösungsrechten, nach § 10 a. a. O. die Pro- 
zessionen usw. von dem die Versammlungen unter freiem Himmel 
beherrschenden Konzessionsprinzip des §& 9 befreit, so können sie nunmehr 
gleiche Befreiung beanspruchen gegenüber denjenigen Vorschriften 
des RVG, welche den §§ 1, 2 und 9 des Pr sinngemäß ent- 
sprechen. Kirchliche und religiöse Vereine, welche Korporationsrechte 
haben, brauchen demnach, auch wenn die Voraussetzungen der §§ 3 
und 5 RVG (politischer Verein, öffentliche Versammlung zur Erörterung 
politischer Angelegenheiten) zutreffen, ihre Satzung und das Verzeichnis 
der Mitglieder ihres Vorstandes der Polizei nicht einzureichen (die 
Pflicht zur Einreichung des Verzeichnisses aller Vereinsmitglieder kennt 
das RVG nicht mehr; insoweit ist das Privileg des § 2 Abs. 3 Pr VG 
gegenstandslos geworden), sie brauchen ihre Versammlungen nicht an- 
zuzeigen (§5 RV), dem polizeilichen Uberwachungs- und Auflösungsrecht 
(55 13ff. das.) unterliegen diese Versammlungen nicht. Betreffs der kirch- 
lichen und religiösen Vereine ohne Korporationsrechte gilt folgendes: sie 
bzw. ihre Versammlungen waren unter der Herrschaft des Pr W nach 
dessen, sie sind jetzt nach den allgemeinen Regeln des RVG zu 
behandeln. Läuft der Zweck eines solchen Vereins den Strafgesetzen zu- 
wider, so kann er gemäß § 2 RVG aufgelöst werden. Stellt der Verein 
nach seinem Zweck und seiner Tätigkeit sich als ein politischer Verein im 
Sinne des RV0 dar (den Begriff des „Vereins, welcher eine Einwirkung 
auf öffentliche Angelegenheiten bezweckt“, § 2 Pr VG, kennt das RVG nicht; 
unrichtig Delius, Deutsches Vereins= und Vers.-R. 525 ff.), so unterliegt er 
den Beschränkungen der I§ 3 und 17 RV (Einreichung der Satzung, An- 
meldung des Vorstandes, Verbot der Aufnahme Jugendlicher); nehmen 
seine Versammlungen (was, wie oben S. 206, 207 ausgeführt, niemals 
ohne weiteres anzunehmen, sondern von Fall zu Fall zu untersuchen 
und festzustellen ist) den Charakter öffentlicher politischen Versammlungen 
(5§5 RV0/) an, so sind sie, wie jede solche Versammlung, anzeigepflichtig 
und dem polizeilichen Überwachungs- und Auflösungsrecht, sowie dem
	        
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