Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 12. Die Religionsgesellschaften und das RVG. 211 
Gebot der deutschen Verhandlungssprache (5 12 a. a. O.) unterworfen. 
Von den spezifischen Beschränkungen der Versammlungen unter sreiem 
Himmel waren vor dem RV in Preußen nur die „bkirchlichen Pro- 
zessionen, Wallfahrten und Bittgänge, wenn sie in der hergebrachten 
Art stattfinden“ (5 10 Pr V), andere kirchliche und religiöse Ver- 
sammlungen dagegen nicht befreit, so daß, mangels ausdrücklicher Be- 
stimmung, jetzt, unter der Herrschaft des RVG das gleiche gilt und 
demnach öffentliche kirchliche oder religiöse Versammlungen unter freiem 
Himmel, welche nicht unter die Kategorie der „hergebrachten“ Prozessionen 
usw. fallen, ebenso wie alle anderen öffentlichen Versammlungen unter 
freiem Himmel gemäß §§s 7—9 RV0 genehmigungs- bzw. anzeige- 
pflichtig (in Preußen, wo von dem Vorbehalt des § 9 Abs. 1 RVG 
kein Gebrauch gemacht worden ist, stets genehmigungspflichtig) sind. Zu- 
stimmend Delius a. a. O. 439, Friedenthal a. a. O. 77, Stier-Somlo 
a. a. O. 235. 
Verbote und Auflösungen von Versammlungen aus allgemeinen 
sicherheitspolizeilichen Beweggründen (s. oben S. 207, 208) sind auch 
unter der Herrschaft des RVG zulässig. Doch ist wohl zu beachten, 
daß die einschlägigen Befugnisse der Polizei dem bisherigen preußischen 
Recht, also dem Pr VW# gegenüber durch §& 1 Abs. 2 RVG: 
„Die allgemeinen sicherheitspolizeilichen Bestimmungen des 
Landesrechts finden Anwendung, soweit es sich um die Verhü- 
tung unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der Teil- 
nehmer an einer Versammlung handelt"“ 
erheblich eingeschränkt sind. Nach dieser Bestimmung, welche, solange 
ein preußisches Landesgesetz anderes nicht vorschreibt, auch für kirch- 
liche und religiöse Versammlungen gilt, kann die Polizei Versammlungen 
solcher Art zwar z. B. wegen Einsturz= oder Feuergefährlichkeit des Ver- 
sammlungsraumes und daraus entspringender unmittelbaren Bedrohung 
des Lebens und der Gesundheit der Teilnehmer, nicht aber z. B. wegen 
bloßer Ordnungswidrigkeiten (Uberschreitung der Polizeistunde in öffent- 
lichen Lokalen, Belästigung dritter durch Lärm) verbieten (s. hierüber 
unten bei Art. 29, 30, S. 522 f.). Unberührt hiervon bleibt die Befugnis 
der Polizei, gegen das strafbare oder polizeiwidrige Verhalten Einzelner 
in Versammlungen, auch religiösen, einzuschreiten; vgl. unten S. 231 
(Heilsarmee). 
Daß die vorstehend zur Darstellung gebrachten Rechtssätze über die 
Stellung der Religionsgesellschaften nur ein Normalrecht sind, welches 
die sonderrechtliche Gestaltung der Verhältnisse einzelner Gesellschaften: 
die Privilegierung derselben mit oder ohne Statuierung besonderer 
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