Artilel 12. Kultusfreiheit. Häusliche Religionsübung. 213
war die Zuziehung eines Geistlichen für die Hausandacht gestattet, bei
ersterer nicht — sowie die Kultusform des exercitium religionis privatum
(Privatgottesdienst, s. oben S. 185) haben seit der Verfassung für Preußen
nur mehr historische Bedeutung, da durch die Gewährleistung einerseits
des Mindest-, andererseits des Höchstmaßes der Kultusfreiheit auch alle
Zwischenstufen und formen, wie das Recht auf devotio domestica
qdualificata und auf exercitium religionis privatum implicite erlaubt
und anerkannt sind. Es sind heute ohne weiteres zu bejahende oder
vielmehr gar nicht mehr aufzuwerfende Fragen, ob der Hausgottesdienst
auch als devotio domestica qualificats ausgeübt werden dürfe und ob
es einer Mehrheit von Familien erlaubt sei, sich zu dem Zwecke ge-
meinsamen Privatgottesdienstes zusammenzutun.
„Häusliche“ und „öffentliche“ Religionsübung unterscheiden sich
nicht nur gegenständlich, sondern auch nach dem Subjekt. Die erstere
zeigt die Betätigung der Glaubensüberzeugung des einzelnen in seiner
Familiengemeinschaft, sie ist also ein Einzel-, ein Individualrecht,
wie die Bekenntnisfreiheit, deren integrierenden und unentbehrlichen
Bestandteil sie bildet. Dagegen ist die öffentliche Religionsübung nie-
mals Gegenstand eines Individual-, sondern eines Sozial-, eines Ver-
bandsrechts; das exercitium religionis (privatum et) publicum
konnte und kann nach seiner geschichtlichen und geltenden Gestaltung
immer nur einer Religionsgesellschaft als solcher zustehen, es ist undenk-
bar ohne das Substrat einer solchen Gesellschaft (ugl. Richter-Dove-
Kahl, Kirchenrecht 318, Fürstenau a. a. O. 189).
a. Häusliche Religionsübung ist jede innerhalb der häuslichen
(Familien-) Gemeinschaft vorgenommene Religionsübung. Das Ob,
Wann und Wie solcher Religionsübung zu bestimmen, ist, wie nach
AL#n II 11 #67, so auch heute noch Sache des „Gutbefindens“ des
Hausvaters (unbeschadet der gesetzlichen Bestimmungen über die religiöse
Exziehung der Kinder aus gemischten Ehen, vgl. oben S. 194). In
diesem „Gutbefinden“ ist die Befugnis inbegriffen, der devotio do-
mestica die oben erwähnte „qualifizierte“ Form zu geben, indem der
Hausherr einen oder mehrere Geistliche der ihm zusagenden kirchlichen
Richtung zu seinen Familienandachten einlädt und ebenso ist es nicht
verboten, also erlaubt, den Hausgottesdienst durch Zulassung ander-
weiter Personen, welche der Familie nicht angehören, zu dem, was die
a#ltere Terminologie exercitium religionis privatum nannte, zu
erweitern. Das durch ALR II 11 99 ausgesprochene Verbot heim-
licher religiöser Zusammenkünfte (von Menschen aus mehr als einer
Familie) „unter dem Vorwande des häuslichen Gottesdienstes“, einge-