Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

218 Artikel 12. Kultusfreiheit als Unterrichtsfreiheit. 
„ein begriffsmäßig unerläßlicher und deshalb selbstverständlicher Bestand- 
teil der gemeinsamen Religionsübung“. 
Sie ist dies aber auch noch in einer anderen Eigenschaft: als 
Unterrichtsfreiheit. Religionsübung im Sinne des Artikels ist zunächst 
Ausübung der Religion, aber eben weil sie das ist, erfordert sie Ein übung 
und insoweit Belehrung namentlich derjenigen, welche, wie Neuein- 
tretende und Kinder, der Dogmen und Kultusformen der betreffenden 
Religionsgesellschaft unkundig sind. Es muß angenommen werden, daß die 
Verfassung der hiermit bezeichneten Forderung hat Rechnung tragen und 
die Freiheit des Religionsunterrichts stillschweigend hat mitgewähren 
wollen. Diese Annahme wird bestätigt durch Art. 15, welcher, in An- 
erkennung des Rechts der Religionsgesellschaften, ihre Angelegenheiten 
selbständig zu verwalten, unter den Gegenständen dieser Selbstverwaltung 
nicht nur die für „Kultus-“, sondern auch die für „Unterrichts zwecke“ be- 
stimmten „Anstalten, Stiftungen und Fonds“ ausdrücklich anführt. Vgl. 
bei Art. 15 S. 335, 336. Zu beachten ist jedoch, daß dieses den Religions- 
gesellschaften eigene Unterrichtswesen, wie es durch die Kultusfreiheit 
bedingt ist, so auch durch deren Begriff begrenzt wird: die Lehr- und 
Unterrichtsfreiheit einer Religionsgesellschaft kann sich immer nur auf 
ihre Glaubenslehren und Kultusvorschriften, auf ihre Religion be- 
ziehen. Zu dieser Ansicht hat sich bei Beratung des Art. 15 in der 
I. K. der Kultusminister v. Ladenberg ausdrücklich bekannt: I. K. 1963, 
vgl. unten bei Art. 15 S. 335. Die Forderung eines Mehreren, ins- 
besondere die Ausdehnung des nach Art. 12 und 15 zulässigen religions- 
gesellschaftlichen Unterrichts auf die Lehrgegenstände der öffentlichen 
Schulen läßt sich aus der Glaubens- und Kultusfreiheit nicht herleiten 
und ist daher — gleichviel, wie man de lege ferenda kirchlicherseits 
hierüber denken mag — de lege lata nicht begründet, wobei auch noch 
ins Gewicht fällt, daß in Preußen das Unterrichtswesen von Haus aus 
nicht Privatsache, noch Kirchensache (auch nicht kirchliche „Angelegenheit" 
im Sinne des Art. 15), sondern Staatssache ist. Nach dem gelten- 
den Recht (vgl. bei Art. 21 S. 380ff., Art. 22 S. 393) kann Unterricht 
nur erteilt werden in den öffentlichen, d. h. vom Staat eingerichteten 
und geleiteten Schulen oder in staatlich konzessionierten und be- 
aufsichtigten Privatschulen, während Kirchenschulen dem öffentlichen 
Recht unseres Staates fremd sind und die Kirche in bezug auf die 
rechtliche Fähigkeit, Schulen zu errichten, nicht besser noch anders 
gestellt ist wie jede Privatperson. Diesen Grundsätzen darf die nach 
Art. 12 Satz 1 mögliche und durch Art. 15 ausdrücklich anerkannte Unter- 
richtsfreiheit der Religionsgesellschaften „keinen Abbruch“ tun (val. unten
	        
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