Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

222 Artikel 12. Das Gesetz vom 3. Juli 1869. 
nämlich die Erstreckung der Parität auch auf solche Befähigungen 
zu öffentlichen Organschaften, welche dem Befähigten keinen formellen 
Rechtsanspruch auf die betreffende Organschaft verleihen, insbesondere 
auf die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Amter, jetzt positiv als 
Wille des Gesetzgebers ausgesprochen. 
Das Gesetz vom 3. Juli 1869 hebt, der Landesgesetzgebung ihre Auf- 
rechterhaltung und Wiedereinführung verbietend, alle Beschränkungen 
der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte auf, welche aus der 
Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleitet sind. Beschrän- 
kungen in diesem Sinne sind alle Normen und Einrichtungen, welche 
das Vorhandensein oder den Mangel eines bestimmten Glaubensbekennt- 
nisses oder überhaupt eines Glaubensbekenntnisses von Rechts wegen 
mit Nachteilen verknüpfen. 
Alle Beschränkungen dieser Art sind aufgehoben: die Geltung des 
durch das Gesetz ausgesprochenen Grundsatzes ist eine bedingungs- und 
ausnahmslose (s. oben). Die Unabhängigkeit der bürgerlichen und 
staatsbürgerlichen Rechte von dem Glaubensbekenntnis kommt nicht nur 
denjenigen zugute, welche sich zu irgend einer (positiven) Religion, 
sondern auch denen, welche sich zu keiner bekennen, wobei es natürrlich 
auch wiederum ganz gleichgültig ist, auf welchen Motiven, religiösen 
oder antireligiösen, solche Konfessionslosigkeit beruht. Die durch das 
Gesetz gebotene Parität gestattet keinerlei bürgerliche Unterscheidung, weder 
zwischen den Konfessionellen unter sich, noch zwischen Konfessionellen 
und Konzfessionslosen. 
Gegenständlich soll sich die durch das Gesetz von 1869 gewährleistete 
Parität beziehen auf die „bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte“. 
Bürgerliche Rechte sind nach dem für die Auslegung dieses Reichs- 
gesetzes zunächst maßgebender Sprachgebrauch anderer Reichsgesetze, 
insbesondere des Art. 3 RVf. (vgl. oben S. 96, 99) alle subjektiven 
Privat= und öffentlichen Rechte, welche nicht zu den staatsbürgerlichen 
(politischen) Rechten gehören. Letztere aber liegen im Sinne des Ge- 
setzes von 1869 überall da vor, wo die Gesetze einem Individuum den 
Anspruch oder auch nur die Befähigung verleihen, bei der Bildung des 
Willens der öffentlichen Gewalt in Staat und Gemeinde organschaftlich 
mitzuwirken. „Insbesondere“" sollen, wie der zweite Satz des Gesetzes 
von 1869 authentisch interpretierend bemerkt, hierhergehören „die Befähi- 
gung zur Teilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur 
Bekleidung öffentlicher Amter“. 
Der Sinn des Gesetzes von 1869 ist hiernach folgender. Die 
rechtliche Möglichkeit des einzelnen als Mensch frei vom Staate nach
	        
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