268 Artikel 14. Der „christliche Staat“.
in welches Stahls Rede ausläuft, nicht angenommen, sondern abgelehnt
wurde. Nicht der Antrag Stahl, sondern der im Sinne des intendierten
„Staatschristentums“ viel weniger weitgehende Antrag v. Viebahn liegt
dem Art. 14 zugrunde (vgl. oben S. 263, 264; unrichtig vR 2 165 N. 2 und
Schoen a. a. O. 1856 N. 192, richtig Malower, DIZ XI Sp. 197).
Stahls Rede bedeutet keineswegs einen parlamentarischen Erfolg der
Ideen, für welche der Redner in seiner Schrift „Der christliche Staat“
(Berlin 1847, 2. Aufl. 1858; Näheres darüber bei Hinschius, Staat und
Kirche 230 ff., Kahl, Lehrsystem 272 ff., 301 ff.) eingetreten war und die
er nun, in einer vorsichtig getroffenen Auswahl und in widerwilliger
Anpassung an die durch die Verfassung proklamierte Glaubensfreiheit
(in der er „nur das Symptom des gesunkenen religiösen Bewußtseins
der Nation“ zu erblicken vermochte, vgl. seine Rede 977) den Revisions-
kammern mundgerecht zu machen suchte. Was Stahl der Sache nach
wollte, war vor allem die Erklärung des Christentums zur Staats-
religion. Er protestierte dagegen, „daß der Staat selbst und als
solcher das christliche Bekenntnis aufgebe“ (a. a. O. 977), daß er gegen
die christliche Religion „Indifferentismus“ zeige; er verlangte, „daß die
preußische Nation in ihrer Einheit auch fortan sich zum Christentum
bekenne, und zwar nicht als zur Religion der Mehrheit, sondern zur
Religion der Wahrheit" (978). Eben dieses waren aber Gedanken, für
welche, ausgesprochen oder unausgesprochen, weder in der Ersten noch in
der Zweiten K. eine Mehrheit zu haben war; wurden doch die Anträge
Stahl und v. Daniels (oben S. 261, 262) in der I. K. verworfen, und
dasselbe Schicksal widerfuhr dem Begehren, das Christentum zur „Reli-
gion des Staates“ zu erklären, in der Kommission wie im Plenum
der II. K. (oben S. 262 ff.). Was schließlich Annahme fand, war die ab-
geschwächte Formulierung des Abg. v. Viebahn, in deren Begründung
eigentlich nur noch das Bedürfnis einer verfassungsmäßigen Sicherung der
Rechtsbeständigkeit staatlicher Vorschriften über die Sonntagsruhe erscheint.
Ist hiernach das Prinzip des Stahlschen „Staatschristentums“
vom Gesetzgeber nicht angenommen, so dürfen auch die Folgerungen.
welche Stahl aus jenem Prinzip zieht (a. a. O. 978), nicht unbesehen
und ohne weiteres für den Willen des Gesetzgebers genommen werden
(so, zutreffend, auch Makower in der DJ XI Sp. 197). So liegen
z. B. die von Stahl geforderte kirchliche Eheschließung mit nur aus-
hilfsweiser Zulassung der Zivilehe, die „Mitaufsicht der Kirche üÜber
die Volkserziehung“ (a. a. O. 978), der „christliche Charakter der (aller!)
öffentlichen Schulen“ u. a. m. entschieden nicht innerhalb, sondern außer-
halb dessen, was mit dem Art. 14 gemeint ist.