Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 14. Der „christliche Staat“. 269 
Bei Auslegung des Artikels wird man gut tun, sich lediglich an 
das zu halten, was, unter Abweisung der Anschauungen Stahls und 
seiner kirchenpolitischen Gesinnungsgenossen, zu positivem Ausdruck ge- 
langt ist: an den Wortlaut der Bestimmung. Deduktionen aus dem 
Prinzip des „christlichen Staates“ und ähnlichen vorgefaßten Meinungen 
sind zu vermeiden (dies gegen Rieker, Die Stellung des modernen Staates 
zur Religion und Kirche 118951, 11 ff.). Die Mehrheit beider Revisions- 
kammern, auf deren Initiative der Artikel in die Verfassung ausgenommen 
wurde, wollte allerdings nicht jedes Band zwischen Staat und Kirche zer- 
schneiden, war aber noch weniger für ein Zurückgehen auf die Einheit 
von Staat und Kirche und am allerwenigsten für ein Aufgehen des Staates 
in der Kirche zu haben. Der preußische Staat ist, als ein moderner 
Staat, ein rein weltlicher Staat; er hat als solcher keine Kon- 
fession (richtig hervorgehoben in dem Komm Ber des HdAbg zum Vu, 
Drucks. 1905/06 Nr. 288 S. 315, 322), seine Gewaltträger sind keine 
christliche Obrigkeit“", welche bei jeder ihrer Handlungen und Unter- 
lassungen sich oder diejenigen, die es verstehen, erst fragen muß, ob da- 
gegen vom Standpunkt des christlichen Dogmas etwas zu erinnern sein 
möchte. Daran hat auch Art. 14 nichts geändert. Der Staat hat 
das Christentum nicht zu „bekennen“; er hat es nur, unter 
gewissen Voraussetzungen, zu berücksichtigen. Unter welchen 
und inwieweit, kann nur die nähere Untersuchung des Wortlauts lehren. 
3. Einrichtungen. — Bei dem Worte „GEinrichtungen“ ist, wie 
bereits in anderm Zusammenhange — oben Art. 12 S. 224, 225 — 
ausgeführt wurde, an Sachen und nicht an Menschen zu denken. Der 
Artikel sieht die Christlichkeit gewisser Institutionen (solcher nämlich, 
die erstens Einrichtungen „des Staates“ sind und zweitens „mit der 
Religionsübung im Zusammenhange stehen"), nicht der Personen vor. 
Der Grundsatz, daß Befähigungen zu öffentlichen Amtern durch das 
Glaubensbekenntnis weder begründet noch beschränkt werden, hat durch 
Art. 14 keine Einschränkung erfahren. Die entgegengesetzte Meinung 
ist zuerst andeutungsweise von Roenne (vR 2 269) aufgestellt, dann 
aber namentlich von der Staatsregierung in den fünfziger Jahren benutzt 
worden, um damit den Ausschluß der Juden vom Richteramt (welches 
zur Abnahme „christlicher Eide“, d. h. zur Handhabung einer unter 
Art. 14 fallenden Staatseinrichtung verpflichte, wozu nach diesem 
Artikel nur Christen befähigt seien; vgl. vR 2 269 f., vR 2 11, 
13 N. 4) zu begründen, — eine Folgerung, gegen welche v. Roenne 
auf das allerentschiedenste protestiert hatte (os 2 271, 272), was 
freilich den Bearbeiter seines Staatsrechts, Zorn, nicht hindert, ihn
	        
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