Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 15. Entstehungsgeschichte. 283 
als kritisches Korreferat die Rede Reichenspergers im HdAbg, 1872.73 
S. 850 ff.). Die Reg Vorl enthielt nur den zweiten Teil des nach- 
maligen Art. 15; ihr § 12 lautete: „Die evangelische und die römisch- 
katholische Kirche, sowie jede andere Religionsgesellschaft bleibt im 
Besitz und Genuß ihrer für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeits- 
zwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds.“ 
Die Kommission der Nat Ver ersetzt diesen Gedanken durch einen 
andern, weiterreichenden. Sie spricht, im Einklang mit den ungefähr 
gleichzeitigen Verhandlungen und Beschlüssen des Frankfurter Parlaments 
(s. unten) für Preußen erstmals das Prinzip der Trennung von 
Staat und Kirche aus, wobei die Selbständigkeit der Kirchen in der 
Verwaltung und Benutzung ihres Vermögens als natürliche Konsequenz 
erscheint. „Jede Religionsgesellschaft" — so sagt Art. 19 Absatz 1 des 
KommEntw der Nat Vers — „isft in Betreff ihrer inneren Angelegen- 
heiten und der Verwaltung ihres Vermögens der Staatsgewalt gegen- 
über frei und selbständig“. 
Die oktr V hat diese Formulierung nicht übernommen. Die 
Staatsregierung fand sie (vgl. die von dem Kultusminister v. Ladenberg 
veranlaßte und veröffentlichte Denkschrift: „Erläuterungen, die Be- 
stimmungen der Vl vom 5. Dezember 1848 über Religion, Religions- 
gesellschaften und Unterrichtswesen betreffend“ ([Berlin 1848)) „un- 
geeignet, weil die Grenze zwischen den äußeren und inneren An- 
gelegenheiten nirgends fest bestimmt ist und weil es ein negatives 
Recht gibt, auf welches der Staat gegenüber den Religionsgesellschaften 
niemals verzichten kann, wenn er sich nicht selbst gefährden will. 
Deshalb hat die Verfassungsurkunde in UÜbereinstimmung mit dem von 
der Frankfurter Versammlung gesetzten.. Beschluß den praktischen 
Gesichtspunkt festgehalten und den Religionsgesellschaften das Recht, 
ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten, ver- 
heißen, wonach künftig eine positive Teilnahme von seiten der 
Staatsgewalt nicht mehr stattfinden wird. Hierbei ist der evangelischen 
und katholischen Kirche ausdrücklich gedacht worden, um darzutun, 
daß diese Gemeinschaften in der ihnen zustehenden feierlich verbrieften 
Stellung nicht beeinträchtigt werden sollen. Die nähere Regulierung 
der Verhältnisse auf der Grundlage des ausgesprochenen allgemeinen 
Prinzips wird im geordneten Wege demnächst erfolgen.“ — Der 
solchergestalt motivierte Art. 12 oktr V lautet bereits wörtlich ebenso 
wie der nachmalige Art. 15. Wenn er, wie die ministeriellen „Erläu- 
terungen“ meinen „in lbereinstimmung“ stehen soll mit den Beschlüssen 
des Frankfurter Parlaments — gemeint sein kann nur der analoge
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.