284 Artikel 16. Entstehungsgeschichte.
Artikel der Grundrechte des deutschen Volkes, § 147 Absatz 1 und 2
der RV von 1849 —, so ist dieses Urteil nur mit einem Vorbehalt
richtig. Nur der Vordersatz von § 147 Abs. 1 a. a. O.,
„Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre An-
legenheiten selbständig“ —
ist von der oktr# aufgenommen worden, nicht auch der sich an-
schließende Nachsatz:
— „bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen“,
und ebensowenig der Abs. 2 des § 147:
„Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte
durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche.“
Die Weglassung jenes Nachsatzes bedeutet allerdings keine materielle
Abweichung von der Frankfurter Fassung, sofern es sicherlich auf
seiten der Staatsregierung, welche die oktr V gegeben hatte, für selbst-
verständlich erachtet wurde, daß die „allgemeinen“ (jedermann, also
auch die Kirche angehenden) Staatsgesetze auch der Kirche gegenüber
gültig seien (so auch Gneist in seinem oben angeführten Kommer,
AbgS 1872/73 Anl.-Bd. 1 603, 604). Von sachlicher Tragweite, und
von sehr erheblicher, ist dagegen die Nichtaufnahme des in §& 147
Absatz 2 enthaltenen Prinzips, also des Verbots der Bevorrechtung
einzelner Religionsgesellschaften durch den Staat (richtig hervorgehoben
vom O, 43 168). Daß man durch Art. 12 oktr V ein solches Ver-
bot nicht aussprechen, insoweit also jedenfalls von den Frankfurter
Beschlüssen abweichen wollte, sagen die zitierten „Erläuterungen" selbst,
indem sie darauf hinweisen, daß die Landeskirchen „in der ihnen zu-
stehenden feierlich verbrieften Stellung — d. h. eben in ihren Vor-
rechten vor andern Religionsgesellschaften — nicht beeinträchtigt werden
sollen“ (vgl. oben S. 212, 226 ff., 246, 266). —
Die Revision des Artikels nahm folgenden Verlauf. Der Bericht des
Züussch (I. K. 990 ff.) trägt zunächst die Bedenken vor, welche gegen
eine so weitgehende Emanzipation der Kirchen vom Staat, wie sie
der Artikel bringe, zu erheben seien. „Es erscheine gefährlich, die
Einwirkung namentlich auf die katholische und evangelische Kirche auf-
zugeben, man werde dadurch außerstand gesetzt, Konflikte zwischen
den Religionsgesellschaften auszugleichen; es könne dem Staate
Nachteil bringen, daß die Geistlichen und Religionsgesellschaften sich
dem Staate nicht mehr verpflichtet fühlen würden, und es sei dies
um so unbilliger, als die vorgenannten Kirchen bedeutende Mittel vom
Staate bezögen, erhebliche Wohltaten seitens desselben genossen hätten
und auch künftig beanspruchen würden. Diese zu gewähren, ohne