Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

290 Artikel 15. Deklaration und Aufhebung des Artikels. 
politik des Staates wäre hiernach gewesen, überhaupt keine Kirchenpolitik 
zu treiben. So meinte Reichensperger a. a. O. 849, 850: „Der Sinn 
und die Bedeutung dieser Artikel (15, 16, 18) ist kein anderer als 
die volle und bewußte Emanzipation der Kirche von dem Apparat 
des alten Staatskirchenregiments und die Versetzung der Religions- 
gesellschaften auf den Standpunkt des gemeinen Rechts aller Ge- 
sellschaften und Vereine“; 852: „Er (der Art. 15) hat keinen Vor- 
behalt gemacht darüber, daß die Religionsgesellschaften den allgemeinen 
Gesetzen des Landes unterworfen seien, weil er das für ganz selbst- 
verständlich erachtete, aber die Erlassung besonderer Gesetze zur 
Reglementierung der Kirche hat er ausdrücklich und bewußt aus- 
geschlossen.“ 
Solche Meinungen konnten mit durchschlagender Kraft nur richtig- 
gestellt werden durch eine authentische Interpretation. Dies ge- 
schah. Als der Minister der geistlichen Angelegenheiten Dr. Falk 
am 9. Januar 1873 die Entwürfe der nachmaligen „Maigesetze“ vom 
11., 12. und 13. Mai 1873 (G. über die Vorbildung und Anstellung 
der Geistlichen, G. über die kirchliche Disziplinargewalt, G. über die 
Grenzen des Rechts zum Gebrauche kirchlicher Straf= und Zuchtmittel) 
im Hd#bg einbrachte, empfahl er zur Beseitigung von etwaigen Be- 
denken darüber, ob die Vorlagen nur eine Ausführung oder eine Ab- 
änderung der Art. 15 und 18 enthielten, „diese Gesetzentwürfe so zu 
behandeln, als ob es sich dabei um eine Modifikation der Verfassung 
handle“ (Hd Abg 72/73, 448). Gab man aber solche Verfassungsbedenken, 
wenn nicht als begründet, so doch als möglich zu, so erschien es offen- 
bar staatsrechtlich korrekter, ihnen durch eine entsprechende ausdrückliche 
Deklaration der in Rede stehenden Artikel den Boden zu entziehen 
und dann erst in die Beratung der Gesetzentwürfe einzutreten. Dieser 
Weg wurde, auf Anregung der mit den Entwürfen befaßten Kommission 
des Hd Abg, von den gesetzgebenden Faktoren gewählt. Die Kommission 
beschloß, die Verfassungsfrage gesondert zu erörtern; das Ergebnis 
dieser Erörterung (vgl. den darüber erstatteten, von Gneist verfaßten, 
oben S. 282 zitierten Bericht) war die Formulierung eines eigenen 
Gesetzentwurfes, welcher demnächst ohne Anderung Gesetz wurde: es 
ist das oben S. 282 wiedergegebene Gesetz vom 5. April 1873. Seine 
Überschrift lautet „Gesetz, betreffend die Abänderung der Artikel 15 
und 18 der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850“. Demungeachtet 
ist es keine — materielle — Abänderung der Artikel, noch will es eine 
solche sein. Der zitierte Komm Ber des Hdbg ist ein getreues Spiegelbild 
der damals von der Staatsregierung (vgl. Minister Dr. Falk, Hd Abg
	        
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