Artikel 15. Das kirchenpolitische System der Verfassung. 297
Trennung. Die Terminologie ist vorzugsweise von Kahl geprägt, val.
Lehrsystem 248ff.; in der Sache stehen die damit bezeichneten Begriffe
und ihre Merkmale längst fest, sie waren namentlich den Teilnehmern
der Revisionsverhandlungen über Art. 15 geläufig, vgl. z. B. die Reden
von v. Bethmann Hollweg, I. K. 996, besonders aber von Reichensperger,
II. K. 1099ff.
In der Ablehnung des Einheitsprinzips und insbesondere des
bis an die damalige Gegenwart heran allenthalben herrschenden territoria-
listischen Staatskirchentums waren sich die Regierung und die über-
wiegenden Mehrheiten beider Kammern einig; daß man durch Art. 15
dieses Staatskirchentum, die letzte Verkörperung des Einheitsgedankens,
treffen und abschaffen will, sieht allen fest. Es ist fast überflüssig,
hierfür Belege zu bringen, sie finden sich fast auf jeder Seite der
Revisionsverhandlungen. Die Staatsregierung will sich laut ihrer „Er-
läuterungen“ mit dem Art. 12 oktr B (oben S. 283, 284) grundsätzlich
auf den Boden der Frankfurter Verfassung stellen, die doch in Deutsch-
land zuerst das Staatskirchentum verneint, das Trennungsprinzip gesetz-
geberisch formuliert hatte. In der I. K. begrüßt man (v. Beth-
mann Hollweg, I. K. 996) den Artikel, „der die Vermischung, die
früher zwischen Staats- und Kirchengewalt vorgekommen ist, ausschließt,
nicht eine Trennung beider, des Staates und der Kirche, sondern eine
Unterscheidung, wie sie in dem Wesen beider Organismen liegt, an-
erkennt.“ Der Abg. Walter (I. K. 999) weist auf Osterreich und
Bayern hin, zwei katholische Staaten, wo sich die katholische Kirche nicht
der gleichen Freiheit erfreue wie nunmehr in Preußen mit seiner
„akatholischen Regierung“: dort herrsche noch das Staatskirchentum,
in Preußen aber die „Selbständigkeit“ der Kirche. „Sehr weise“, meint
der Redner, „ist hier nicht gesagt: Trennung“. In der II. K. schildert
Reichensperger (1099ff.) eingehend und scharfsinnig das Wesen der ver-
schiedenen kirchenpolitischen Systeme; wie die andern, so ist auch er
davon überzeugt, „daß die Idee der Staatskirche eine Unmöglichkeit,
dagegen die Trennung von Kirche und Staat eine absolute Not-
wendigkeit geworden“ sei. Daß diese Trennung jetzt endlich verwirklicht
werden mühsse, darin seien die Anhänger wie die Gegner des Christen-
tums einig (a. a. O. 1100).
Man wollte also die „Trennung“; aber in welcher Gestalt?
Welches der in sich doch sehr verschiedenen Trennungssysteme hat man
gewollt und zum Ausdruck gebracht?
Daß das System der Koordination nicht das der Verfassung
ist, wurde bereits oben (S. 293 ff.) gezeigt. Daran ist festzuhalten. Die