Artikel 16. Das kirchenpolitische System der Verfassung. 299
seiner Aufhebung durch die Gesetzgebung fortgebildete hochprivilegierte
Stellung der Landeskirchen, die diesen beigelegte Fülle öffentlicher
Gewalt (Autonomie, AÄmterhoheit, Besteuerungsrecht, Disziplinargewalt),
andererseits die Struktur der ihnen gegenüber entwickelten Staatsauf-
sicht läßt diese Kirchen als etwas von jedem Privatverein gänzlich Ver-
schiedenes erscheinen. Die staatliche Subventionierung der Kirche ist durch
die Verfassung nicht nur nicht verboten, sondern im Umfange der erwor-
benen Rechte sogar geboten und gewährleistet (Art. 15 Nachsatz, s. unten
S. 330 f.) und auch sonst mangelt es in Preußen nicht an der mit der
Trennung i. e. S. unverträglichen Erscheinung des staatlichen „Kultus-
budgets“.
Endlich lehrt auch der oberflächlichste Blick auf die Revisions-
verhandlungen, wie weit die Väter der Verfassung von der Grund-
stimmung des reinen Trennungsprinzips, von jenem Indifferentismus
entfernt waren, welcher den Staat allem kirchlichen und religiösen
Leben des Volkes mit kühler Gleichgültigkeit gegenüber stehen läßt. Der
Satz der offiziellen Erläuterungen: „der Staat, indem er sich von den
Religionsgesellschaften scheidet, will sich nicht scheiden von der Religion“
(oben S. 265, 266) kehrt, mannigfaltig variiert, in zahlreichen Kammerreden
wieder, und das, worauf er hinzielt, die Pflicht des Staates zur Berück-
sichtigung des Christentums im öffentlichen Leben, hat im Art. 14 staats-
grundgesetzlichen Ausdruck gefunden. Schon allein dieser Art. 14, welcher
„die Bibel in die Verfassung hineinschreibt“ (Abg. v. Ammon, I. K.
997) würde genügen, um die Frage, ob Preußen ein Staat der
reinen Trennung sei, verneinen zu lassen (vgl. oben bei Art. 14,
insbesondere S. 264 f..). Dazu kommt dann noch, in der durch Art. 14
bezeichneten Richtung, die durch Art. 24 vorgeschriebene Konfessionali-
tät und der obligatorische Religionsunterricht in den öffentlichen Volks-
schulen.
Nach alledem haben die oben S. 297 zitierten Kammerredner ganz
recht geurteilt, wenn sie meinten, Art. 15 bedeute zwar die „Unter-
scheidung", nicht aber die „Trennung“ von Staat und Kirche, das
Wort Trennung sei in dem Artikel „weise“ vermieden (val. dazu noch die
übereinstimmenden Außerungen Reichenspergers, II. K. 1100, und Beselers,
daselbst 1136, die Trennung von Staat und Kirche könne und solle
nach der Verfassung „keine absolute“ sein). In allen diesen Worten
und Wendungen zeigt sich jener um 1848 auch sonst stark vorherrschende
„religionsfreundliche Liberalismus“ (Rotenbücher, Trennung von Staat
und Kirche 105), der zwar für Freiheit der Kirche vom Staat, nicht
aber für die Trennung i. e. S. eintrat.