300 Artikel 15. Trennung von Staat und Kirche nach der Verfassung.
Und doch ist es nicht unrichtig, vielmehr richtig, wenn man sagt,
Art. 15 trenne Staat und Kirche. Seit dieser Artikel Gesetz geworden,
sind in Preußen Staat und Kirche getrennt, — freilich nicht im
Sinne des reinen Trennungsprinzips, wohl aber im Sinne des in
Deutschland gemeingültigen Systems der Freiheit der Kirche vom
Staat unter Vorbehalt einer den verschiedenen Kirchen und
Religionsgesellschaften gegenüber in Aufsicht und Schutz
verschiedenartig sich betätigenden Staatskirchenhoheit.
Die kennzeichnenden Grundlagen dieses Systems sind folgende.
Zunächst: Staat und Kirche sind getrennt, subjektiv und objektiv, das
heißt als Wesen und im Wirkungskreise. Sie sind nicht eines, sondern
zwei, zwei Gemeinwesen mit verschiedenen Wirkungkreisen.
Die Trennung ist gründlicher und schärfer, sie ist vor allem eine an-
dere als die zwischen Staat und Gemeinde. Denn wenn die Gemeinde
auch dem Staate gegenüber, ebenso wie nach Art. 15 die Kirche, ein
eigenes Selbst im Rechtssinne besitzt, so ist und bleibt sie doch dem Staate
organisch eingegliedert, insofern also, angesichts ihrer Organstellung,
ein Teil des Staatsganzen. Und wie sie selbst nur eine Gliederung
des Staates darstellt, so ist auch ihr Wirkungskreis nur eine Gliederung,
ein Teilgebiet des Staatszweckes; es sind schließlich doch Staatsauf-
gaben, Staatsgeschäfte, welche der Gemeinde zur Selbstverwaltung
übertragen sind. Bei der Kirche trifft dies alles nicht zu. Sie ist in
keinem Sinne Staatsteil, weder in dem engeren des durch die Verfassung
beseitigten Staatskirchentums noch in dem weiteren der organschaftlichen
Eingliederung. Das verfassungsmäßige Verhältnis der
Religionsgesellschaften zum Staat ist nicht Gliedstellung,
nicht Organschaft im Staat, der religionsgesellschaftliche
Wirkungskreis nicht Stück, sondern Gegenstück des staatlichen
Wirkungzkreises.
Die Trennung von Staat und Kirche reicht auch weit genug, um
die viel erörterte (vgl. insbesondere Kahl, Lehrsysteem 332 ff., Schoen im
VArch 6 101ff.) Frage der öffentlichrechtlichen Korporationsquali-
tät der Kirche verneinen zu lassen. Diese Frage ist zu verneinen,
eben weil die angegebene Gliedstellung das Wesen der öffentlichrecht-
lichen Korporation ausmacht. Das Kennzeichen der öffentlichrechtlichen
Korporation: Selbständigkeit verbunden mit Organschaft im Staat, ist
bei den Gemeinden, weiteren Kommunalverbänden und sonstigen
„weltlichen“ Selbstverwaltungskörpern vorhanden, bei den Kirchen und
andern Religionsgesellschaften dagegen nicht. Deshalb sind Kirche und
Gemeinde inkommensurabel. Nur diese, nicht auch jene läßt sich unter