Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

320 Artikel 15. Derogatorische Wirkung des Artikels. 
3. Wie § 18 II 11 die Gebäude der Kirchengesellschaften als 
Staatsgebäude, so bezeichnen § 19 und §& 96 h. t. ihre Diener als 
Staatsbeamte: 
#*l19: „Die bei solchen (d. h. den ausgenommenen) Kirchen- 
gesellschaften zur Feier des Gottesdienstes und zum Religions- 
unterricht bestellten Personen haben mit andern Beamten im 
Staate gleiche Rechte.“ 
§l 96: „Die Geistlichen der vom Staate privilegierten Kirchen- 
gesellschaften sind, als Beamte des Staates, der Regel nach 
von den persönlichen Lasten und Pflichten des gemeinen Bürgers 
frei." 
Die Frage der Fortgeltung dieser Bestimmungen ist identisch mit 
der bereits oben S. 310, 313 berührten, in Theorie und Praxis viel 
erörterten Kontroverse, ob auch nach der Verfassung alle oder bestimmte 
Kategorien der Personen, welche Kirchendienst tun, die Eigenschaft von 
Staatsbeamten, sei es von unmittelbaren oder mittelbaren im Sinne 
des A#n (oben S. 313), besitzen. 
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß beide §§, 19 und 96, 
durch Art. 15 aufgehoben sind, soweit sie die Diener der Kirche deshalb, 
weil sie dies sind, für Staatsdiener erklären. Beide fußen auf spezifisch 
staatskirchentümlichen Anschauungen, insbesondere auf der, daß die 
Kirchengesellschaften zu jenen „gewissen, dem Staate untergeordneten 
Korporationen"“ — §& 69 II 10 ALR — gehören, deren Repräsentanten 
und Angestellte wegen der „Unterordnung“ ihrer Korporation unter den 
Staat (gleichbedeutend mit organschaftlicher Eingliederung, s. oben S. 300, 
301, 313) als „mittelbare“ Staatsbeamte erscheinen. Die Staatsbeamten- 
klasse, in welche §§ 19, 96 h. t. die landeskirchlichen Geistlichen einreihen, 
ist die der mittelbaren Beamten. Das geistliche Amt ist nach dem 
A#m Staatsdienst. Nicht unmittelbarer, aber mittelbarer: es ist Korpo- 
rationsdienst, und zwar Dienst, der einer dem Staate organisch einge- 
gliederten, in der Enge und Nähe ihres Verhältnisses zum Staate den 
politischen Gemeinden gleichstehenden Korporation geleistet wird. Daß 
dies die Auffassung der rechtlichen Natur des Kirchendienstes war, er- 
hellt aufs deutlichste aus den von Hinschius, Preußisches Kirchenrecht 15 
N. 31 mitgeteilten Materialien zu § 19 h. t., insbesondere aus der 
Außerung von Spvarez: „Qua talis gehört er (nämlich der bei einer 
evangelischen Kirchengemeinde angestellte Pfarrer) zu den mittelbaren 
Beamten des Staates.“ Diese Konstruktion, die u. a. auch in der 
vorkonstitutionellen Form des Diensteides der landeskirchlichen Geistlichen 
zum Ausdruck kam, indem der Schwörende darin ausdrücklich als „Diener
	        
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