Artikel 15. Sind die Konsistorialbeamten Kirchen- oder Staatsbeamte? 323
staatskirchlichen Gumdlage ruhende Vermischung kirchlicher und staatlicher
Regierungsfunktionen sei durch die Verfassung beseitigt; der evangelische
Oberkirchenrat und die Konsistorien seien durch das Gesetz über die
evangelische Kirchenverfassung vom 3. Juni 1876, Art 21 ausdrücklich als
„Organe der Kirchenregierung“, mithin als Kirchenbehörden anerkannt,
welche ihre Befugnisse nicht vom Staate (bzw. dem König als Staats-
oberhaupt), sondern von der Kirche (bzw. dem König als Träger des
Kirchenregiments) herleiten. Sollten nun die Mitglieder dieser Be-
hörden trotzdem nicht zu dem Träger des Kirchenregiments in einem
Beamtenverhältnis stehen? Wer dies verneine, müsse die Existenz von
nichtstaatlichen Behörden zugeben, welche mit staatlichen Beamten be-
setzt sind. „In Preußen besteht danach, trotzdem man die Selbständig-
keit der evangelischen Landeskirche im wesentlichen durchgeführt hat,
der wunderbare Zustand, daß die Leitung der Kirche durch Beamte
gehandhabt wird, welche nicht ihre Beamte sind, sowie daß der Staat
Beamte anstellt und besoldet, welche gar keine staatlichen Aufgaben zu
erfüllen haben, also gewissermaßen der angeblich selbständigen Kirche
seine Beamten leiht.“
Es läßt sich nicht leugnen, daß er hier von Hinschius als „wunder-
bar“ bezeichnete Zustand in Preußen geltendes Recht ist.
Die Praxis hat die Hinschiussche Ansicht nie gebilligt. die neuere
Gesetzgebung, insbesondere das Gesetz über die evangelische Kirchen-
verfassung vom 3. Juni 1876 hat sie nicht ausgenommen. Auch in der
Literatur wächst, namentlich seitdem das OV sie mit sehr über-
zeugenden Gründen bekämpft hat (grundlegend die Entsch des 2. Senats,
22 36 ff., welcher der 1. Senat, 35 446 ff., folgt; weitere Urteile sind
Entsch 22 53 in der Anm. mitgeteilt), die Zahl ihrer Gegner (beachtens-
wert außer der oben angegebenen Abhandlung von Braun insbesondere
Niedner, Die Ausgaben des Staates für die evangelische Landeskirche
[19041, 265 ff., derselbe im VArch 12 601 ff. und Theinert im Vlrch 16
101 ff., sowie die von letzterem, 90 N. 170, zitierten Schriften von
Thudichum, Goßner, Nitze).
Die Streitfrage hat, wie im voraus zu bemerken ist, nur Be-
deutung für die evangelische Kirche, denn die Konsistorialbeamten sind
eine evangelische Spezialität, der im katholischen Kirchenrecht nichts
Analoges gegenübersteht. Aus den interkonfessionellen §§ 19, 96 II 11
und ihrer Aufhebung durch Art. 15 ist für die Entscheidung der Frage
nichts zu entnehmen, denn diese Paragraphen beziehen sich, wie Wortlaut
und Materialien ergeben (s. oben S. 320), nur auf die Geistlichen
der Landeskirchen, insbesondere auf die Pfarrer. Deren Dienst wird
21*