Artikel 15 als Garantie. 339
schaften im Verhältnis ihres Vermögens zur Staatsgewalt nicht besser,
sondern ebenso wie alle andern Vermögensinhaber. Das Eigentum
und alle andern Vermögensrechte der Kirche genießen den gleichen
Schutz wie das Eigentum und die Rechte anderer, sie sind der Be-
einträchtigung und Entziehung durch Akte der Staatsgewalt nicht mehr
noch minder ausgesetzt wie jedes Eigentum und jedes Recht.
Die Stellung des Staates zum Kirchengut regelt sich mithin
nach Art. 9. Administrative Eingriffe in das Kirchengut ohne gesetzliche
Grundlage sind unzulässig — denn die Freiheit des Eigentums steht
auch hier unter dem Vorbehalt des Gesetzes (oben S. 156 ff.), —
legislative dagegen unbeschränkt zulässig, — denn der Grundsatz der
Unverletzlichkeit des Eigentums will, worüber bei Beratung des Art. 9
Einverständnis herrschte, der etwa notwendigen Aufhebung von Rechten
durch Gesetz nicht entgegentreten (vgl. oben S. 161). Die durch
die Aufhebung des Art. 15 geschaffene Rechtslage verbietet dem
Gesetzgeber insbesondere nicht, Gegenstände des Kirchengutes ihren In-
habern und Zwecken aus höheren Gründen des Staatswohles zu entziehen,
also Sekularisationen vorzunehmen. Die Sekularisation erfordert
lein verfassun gänderndes, sondern nur ein einfaches Gesetz.
Entschädigungsansprüche läßt sie nicht entstehen, denn das Entschädigungs-
prinzip des Art. 9 bezieht sich, wie oben S. 164 ff. dargelegt, nur
auf Verwaltungsakte, und zwar i. e. S. expropriative Verwaltungs-
akte, welche „nach Maßgabe des Gesetzes“, nicht aber auf Eingriffe,
welche voi Gesetzgeber unmittelbar selbst vorgenommen werden.
Wie der Staat durch die Verfassung nicht gehindert ist, kirchliche
Rechte aufzuheben, so darf er auch solche Verbindlichkeiten, welche
der Kirche gegenüber zu erfüllen sind, ohne daß dieser ein sub-
jektives Recht auf die Erfüllung eingeräumt ist, beseitigen. Er kann
sich also auch seiner eigenen einschlägigen Zahlungsverpflichtungen — s.
oben S. 330 ff. — ganz oder teilweise (zeitweise, bedingungsweise) ent-
ledigen, kann insbesondere die aus der Staatskasse zu gewährenden
Einkünfte kirchlicher Stellen einbehalten. Man bezeichnet Maßnahmen
der hiermit angedeuteten Art bekanntlich als Temporaliensperre.
Die Temporaliensperre dient vorzugsweise als kirchenpolitisches Zwangs-
mittel und ist in Preußen bisher ausschließlich in diesem Sinne, zur
Bekämpfung des Ungehorsams kirchlicher Organe gegen die Staats-
gesetze, angewandt worden. Beispiele bieten außer dem oben S. 338
angeführten Gesetz vom 21. Mai 1874 noch das Gesetz über Vor-
bildung und Anstellung der Geistlichen vom 11. Mai 1873, §55 13,
18, das Gesetz vom 7. Juni 1876 (GS 149) 99, vor allem aber das
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