Artikel 18. Prinzip und derogatorische Wirkung. 353
Die Begründung des Artikels und — was wichtiger — der Text
räumen mithin der Kirche in bezug auf die Besetzung ihrer Amter
mehr Freiheit ein, als sie nach dem allgemeinen Grundsatz des Art. 15
zu fordern berechtigt wäre. Aufgehoben und beseitigt ist nicht nur das
mit jenem Grundsatz allerdings unvereinbare, weil typisch staatskirchen-
tümliche Ernennungsrecht, sondern auch jedes rein aufssichtlich
(„negativ“, vgl. oben S. 316, 328, 329) geartete Bestätigungsrecht
des Staates.
Hiernach ist der Umfang der derogatorischen Wirkung des Artikels
zu beurteilen. Dieser Umfang ist ein größerer als er bei Anwendung
lediglich des allgemeinen Grundsatzes über das Verhältnis von Staat und
Kirche, des Art. 15 (oben 329) sein würde. Aufgehoben sind — beispiels-
weise — nicht nur die in den §§ 1012, 1014, 1051, 1088 ALR II 11
vorbehaltenen Rechte des Königs, kirchliche Stellen durch Ernennung
bzw. Verleihung zu besetzen (Ernennung bei verzögerter oder vor-
schriftswidriger Wahl kraft Devolution, Ernennung auf Vorschlag auf
Grund des Herkommens, Nomination der Bischöfe, Verleihung von
Kapitelsstellen), sondern auch Vorschriften wie § 133 h. t. (landes-
herrrliche Genehmigung zur Bestellung eines Generalvikars), 138
(desgleichen eines Vikars zur Vertretung eines „auswärtigen Obern“),
1009 (desgleichen zur Gültigkeit von kirchlichen Wahlen und Postu-
lationen), 1013 (zu Besetzungen, welche die „geistlichen Obern“ vor-
nehmen), 1017 (zur Bestellung eines Koadjutors). Über weitere, durch
Art. 18 aufgehobene Bestimmungen des älteren Rechts vgl. vK 2
383 N. 4.
Nur die aus der Staatsgewalt (dem jus circa sacra) her-
geleiteten Ernennungs- usw. Rechte des Königs sind durch Art. 18
beseitigt, nicht dieienigen, welche einen Ausfluß der dem Könige zu-
stehenden evangelischen Kirchengewalt, des Kirchenregiments (ius in
sacra) darstellen. Dies ist in den „Erläuterungen“ (s. oben S. 283
ausdrücklich hervorgehoben und — da die auf dem landesherlrlichen
Kirchenregiment beruhende Konsistorialverfassung der evangelischen
Landeskirche durch die Verfassung in keiner Weise geändert wurde
(s. oben S. 285, 309 ff.), in der Tat selbstverständlich. Die kirchen-
regimentlichen Ernennungs- und Bestätigungsrechte bei Besetzung
kirchlicher Stellen sind also von dem Artikel völlig unberührt geblieben,
ebenso wie das Recht des Königs als Staatsoberhaupt, diejenigen
Funktionäre der evangelischen Kirchenverwaltung anzustellen, welche den
Charakter von Staatsbeamten haben (Mitglieder der höheren kirchen-
regimentlichen Behörden, s. das Nähere oben S. 322 ff.).
Anschütz, Preuß. Berfassungs-Urkunde. I. Band. 23