Artikel 19. Einführung der Zivilehe. 361
verleugnend, die Verwandlung des Art. 16 oltr V aus einer Satzung
in eine unverbindliche Verheißung zunächst der II., dann auch der I. K.
empfahl (vgl. Erklärungen des Justiz= und des Kultusministers, II. K.
1183, 1184, I. K. 1948, 1949). An Stelle des Art. 16 a. a. O. setzte
die II. K., einen Antrag des Abgeordneten Evelt adoptierend (II. K.
1190), die Fassung des geltenden Textes. Und diesem Beschluß, dem die
Staatsregierung im voraus zugestimmt hatte (s. die angegebenen Er-
klärungen der Minister), hat sich die I. K. gefügt.
2. Auslegung. — Mit dem Erlaß des im Art. 19 vorgesehenen
„besonderen Gesetzes“ hat man sich Zeit gelassen. Ein unter der
„neuen Ara“ unternommener Versuch, wenigstens die fakultative Zivil-
ehe allgemein einzuführen, scheiterte diesmal an dem Widerspruch
des Herrenhauses (vgl. Richter-Dove-Kahl, Kirchenrecht 1038 N. 37).
Erst die siebziger Jahre haben für Preußen und gleich darauf auch für
das ganze Reich die Erfüllung der inzwischen schon alt gewordenen
Forderung gebracht.
Für Preußen (d. h. für das ganze Staatsgebiet mit Ausnahme
des Appellationsgerichtsbezirks Köln und der Stadt Frankfurt a. M.,
wo die Zivilehe schon bestand) erging das Gesetz über die Beurkundung
des Personenstandes und die Form der Eheschließung vom 9. März
1874 (GS 95). Nach ihm (§ 35) kann eine bürgerlich gültige Ehe
nur dadurch geschlossen werden,
„daß die Verlobten in Gegenwart von zwei Zeugen vor dem
Standesbeamten persönlich ihren Willen erklären, die Ehe mit-
einander eingehen zu wollen, daß diese Erklärung vom Standes-
beamten in das Heiratsregister eingetragen und daß die Ein-
tragung von den Verlobten und von dem Standesbeamten voll-
zogen wird“.
Die Rechtsform der Eheschließung ist nach diesem Gesetz mithin die
eines zu Protokoll des Standesbeamten zu erklärenden, von diesem in
das Heiratsregister aufzunehmenden und mitzuunterzeichnenden Ver-
trages der Brautleute. Das preußische Gesetz vom 9. März 1873 wurde
alsbald ersetzt durch das R über die Beurkundung des Personen-
standes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 (Rl 23), welches
ebenso wie das preußische Gesetz auf dem Grundsatz der allgemeinen
obligatorischen Zivilehe beruht, in der Struktur der Eheschließungsform
jedoch von jenem Gesetz abweicht. Die Stellung des Standesbeamten,
nach dem preußischen Gesetz von 1874 lediglich die einer den ehestiftenden
Konsens der Verlobten entgegennehmenden und registrierenden Ur-