Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 20. Die Freiheit der Wissenschaft. 373 
und im einzelnen die rechtliche Natur der anderen Grundrechte; was 
für diese, insbesondere für die in den Art. 5 und 9 enthaltenen Ver- 
briefungen gilt, gilt auch für ihn: vgl. oben S. 97ff., 134 ff., 161 ff. 
und unten bei Art. 27 S. 500, 503. Art. 20 ist eine Spezialisierung 
der durch Art. 5 allgemein ausgesprochenen Garantie der persönlichen 
Freiheit, und im besonderen noch — soweit man nicht an die Frei- 
heit der Forschung, sondern an die Freiheit der Lehre denkt — des 
Rechts der freien Meinungsäußerung: Art. 27. Was jene Verfassungs- 
sätze für die Freiheit des Tuns, Redens, Schreibens überhaupt be- 
deuten, bedeutet Art. 20 für die Freiheit wissenschaftlicher Tätigkeit: 
die Gewähr gesetzmäßiger Verwaltung. Wie jene Artikel und ihre 
Seitenstücke (Art. 6, 9, 12 usw.), so richtet auch Art. 20 seine Spitze vor 
allem gegen die vollziehende Gewalt, die Verwaltung, indem dieser 
und ihren Organen verboten wird, anders als auf Grund und inner- 
halb der Schranken des Gesetzes in die Freiheit des einzelnen ein- 
zugreifen. Über den hierbei mit dem Begriffe „Gesetz“ zu ver- 
bindenden Sinn ist an das bei Art. 5 S. 140ff. und Art. 9 S. 162 ff. 
Gesagte zu erinnern. Was dort bemerkt wurde, gilt auch hier. „Ge- 
setz" im Sinne der Grundrechte ist insbesondere auch die durch 
A##n II 17, & 10 und das Gesetz vom 11. März 1850 begründete 
und begrenzte Verfügungs- und Verordnungsgewalt der Polizei. Die 
Freiheit wissenschaftlicher Tätigkeit und Lehre findet ihre Schranke 
nicht nur an der „Heiligkeit des Strafgesetzes“ (vgl. oben S. 369), 
sondern auch an den nicht minder „heiligen“ Polizeigesetzen und den 
angegebenen allgemeinen Befugnissen der Polizei. Eine Handlung, 
welche, weil sie die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet, von 
der Polizei pflichtmäßig verboten und verhindert werden muß, wird 
nicht dadurch erlaubt und unverbietbar, weil sie von dem, welcher sie 
vornimmt oder vorhat, als wissenschaftliche Arbeit gemeint ist. Man 
denke an Versuche mit Sprengstoffen oder mit Krankheitserregern (über 
das wissenschaftliche Arbeiten mit letzteren vgl. R betr. die Bekämpfung 
gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900, Rl 306, 5 27, 
wo der Bundesrat ermächtigt wird, über die bei solchen Arbeiten zu 
beobachtenden Vorsichtsmaßregeln Vorschriften zu erlassen; daraufhin 
sind zunächst Vorschriften über das Arbeiten und den Verkehr mit Pest- 
erregern ergangen: Bek. des Reichskanzlers vom 6. Okt. 1900, RGl 849). 
Keinesfalls ist die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Lehre 
a priori eine weitergehende als etwa die der Eigentumsausübung (oben 
bei Art. 9 S. 156 ff.) oder der Meinungsäußerung (unten bei Art. 27 
S. 500). Der allgemeinen Bürgerpflicht, den Gesetzen zu gehorchen
	        
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