Artikel 20. Der Staat und die wissenschaftliche Lehrtätigkeit. 375
über Universitätsreformen (Berliner Rekt.-Rede], 6). „Geltendes Recht“
im Sinne von vorkonstitutionellen Spezialvorschriften, bei denen
es gemäß Art. 26 Satz 2 „zu verbleiben“ hätte, besteht also bezüglich
der Universitäten und anderen Hochschulen nicht. Dieses Vakuum wird
ausgefüllt durch allgemeine Rechtsgrundsätze und besondere Gesetze über die
Berwaltung der Staatsanstalten und die Pflichten der Staatsbeamten.
Die Universitäten sind nach preußischem Recht Staatsanstalten; sie
unterstehen demzufolge der Aufsicht und Leitung der zuständigen Staats-
behörde: des Unterrichtsministeriuims. In den hiermit gegebenen
administrativen Befugnissen ist insbesondere das Recht inbegriffen, der
Anstalt ihre Ordnung zu geben, die Anstaltsordnung zu erlassen
und damit sowohl den gesamten Lehrbetrieb als auch die Benutzung
aller einzelnen Hochschuleinrichtungen (Bibliotheken, Institute, Samm-
lungen usw.) zu regeln. Eigentliche, rechtliche Beschränkungen der
Freiheit des wissenschaftlichen Lebens und Arbeitens werden dadurch
freilich nicht begründet; die Anstaltsordnung enthält keine Rechtsnormen
(ogl. über diesen Begriff unten bei Art. 62 und 45), sondern Ver-
waltungsvorschriften: Vorschriften, welche teils den Charakter von Dienst-
anweisungen an die mit der Anstaltsverwaltung betrauten Beamten, teils
den von Bedingungen haben, unter denen der Staat seine Anstalt und
ihre Einrichtungen denen, die sie benutzen wollen, zur Verfügung stellt
(ogl. zu vorstehendem Anschütz, Gegenwärt. Theorien 70ff., Enzykl. 605).
Jene Befugnisse enthalten ferner das Recht der Staatsregierung,
die Hochschulen zu beaufsichtigen. Dieser Aufsichtsgewalt läßt sich
nicht prinzipiell der korporative Charakter unserer Universitätsverfassung
entgegenstellen. Zugegeben, daß diese Verfassung nicht rein anstaltlich,
sondern bis zu einem gewissen Grade körperschaftlich geartet ist und
die Tätigkeit der Hochschule insoweit als Selbstverwaltung erscheint,
so folgt doch gerade hieraus die Notwendigkeit und der Rechtstitel der
Stnatsaufsicht. Denn jede Selbstverwaltung einer öffentlichrechtlichen
Körperschaft oder Anstalt ist nicht sowohl Recht als Pflicht des Selbst-
verwaltungskörpers, eine im Staatsinteresse statuierte Pflicht, welche
das Bestehen aufsichtlicher Einrichtungen als Erfüllungsgarantie begriffs-
mäßig fordert. Es ist daher unrichtig, wenn Arndt, Komm. zu Art. 20,
S. 124 aus diesem Artikel die „Direktive“ entnehmen will, „die Vor-
lesungen der Prosessoren nicht zu überwachen“. Eine solche „Direktive“
würde dem Staate zumuten, auf die Ausfsichtsgewalt gegenüber seiner
Anstalt, ja auf das Recht, auch nur Kenntnis zu nehmen von dem,
was an und in dieser Anstalt geschieht, restlos zu verzichten. Davon
kann nicht die Rede sein.