Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

20 Die Provinzialstände. 
welche nur deshalb keinen Schaden angerichtet hat, weil die 
Kompetenz, wie erwähnt, sehr schmal bemessen war. Einen merk- 
baren Einfluß auf die innere Staatspolitik, insbesondere die Gesetz- 
gebung, haben die Provinzialstände nicht ausgeübt. Es ist mithin weder 
staatsrechtlich noch politisch richtig, den preußischen Staat von 1823—1848 
als eine „ständische Monarchie“ zu bezeichnen. Die ständische Monarchiezeigt, 
wo immer sie verwirklicht gewesen ist, als Hauptmerkmal das partei- 
mäßige Nebeneinander der beiden obersten Faktoren des Staates, des 
Landesherrn und der Landstände: den für das altständische System 
so charakteristischen Dualismus. Der Landesherr erscheint nur als 
Subjekt bestimmter Hoheitsrechte, ihm tritt die naturwüchsige kor- 
porative Organisation der herrschenden Gesellschaftsklassen, die Stände- 
versammlung, gegenüber als Träger wesentlich gleichstarker, gleich- 
wertiger Rechte; die beiden Faktoren haben sich gegenseitig nichts zu 
befehlen, sondern stehen miteinander auf Vertragsfuß. Von alledem 
konnte in dem Preußen der hier geschilderten Zeit keine Rede sein, 
dazu war die Machtstellung der durch das G. vom 5. Juni 1823 
geschaffenen Provinzialstände auch nicht annähernd stark genug. Diese 
Provinzialstände waren Beratungskörper im Dienste der absoluten 
Krone, welche sich von anderen beratenden Staatsorganen, insbesondere 
dem (sie an politischer Bedeutung weitaus übertreffenden) Staatsrat 
durch die Formation (Zusammensetzung aus gewählten nichtbeamteten 
Elementen statt aus emannten Beamten), nicht aber in der Art der 
Kompetenz unterschieden: eine emstliche Beschränkung der königlichen 
Gewalt haben die Provinzialstände so wenig bedeutet wie der Staats- 
rat. Preußen hat sich also seit 1823 mitnichten zu einem Ständestaat 
alten Stils zurückentwickelt, es ist vielmehr, bis 1848, eine absolute 
Monarchie geblieben, so absolut, wie sie nur immer unter den 
Königen des 18. Jahrhunderts, unter Stein und Hardenberg ge- 
wesen war. — 
Die Bildung eines allgemeinen Landtages aus den Provinzial- 
ständen, eine „Versammlung der Landesrepräsentanten“, wie sie die 
V. vom 22. Mai 1815 verheißen hatte, erfolgte nicht. Wenigstens nicht, 
solange Friedrich Wilhelm III. regierte. Die Krone ließ also das Ver- 
sprechen, welches sie 1815 gegeben, unerfüllt. Eine öffentliche Meinung, 
die sie beim Worte genommen hätte, bestand noch nicht. Die preußische 
Verfassungsfrage war eingeschlafen. 
Sie erwachte wieder, nachdem der Führer der Partei, welche 
Hardenberg und seine konstitutionellen Pläne besiegt hatte, als König 
Friedrich Wilhelm IV. die Regierung angetreten hatte (Juni 1840).
	        
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