384 Artikel 21. Der Unterrichtszwang.
gelegtem fünften Jahre zur Schule zu schicken“. Also nicht (unbedingte)
Schulbesuchspflicht, sondern Pflicht zur Erwerbung bzw. Verschaffung
eines gewissen Mindestmaßes von Bildung und Kenntnissen. Dieser
Pflicht kann, muß aber nicht in den öffentlichen Schulen genügt werden,
vielmehr ist es den Erziehungsberechtigten freigestellt, den „nötigen Unter-
richt" auf andere Weise, „im Hause", oder durch Benutzung von Privat-
unterrichtsanstalten zu besorgen. Ebenso die Verfassung. Art. 21 Abs. 2
bedeutet, wie der Wortlaut zeigt, gleichfalls nicht die allgemeine Schul-
pflicht im Sinne eines Zwanges zum Besuch der öffentlichen Volksschule
oder überhaupt einer Schule, sondern die Pflicht der Eltern, ihre Kinder
oder Pflegebefohlenen „nicht ohne den Unterricht zu lassen, welcher für
die öffentlichen Volksschulen vorgeschrieben“ ist, eine Pflicht, welche
ebenso wie die gleichartige des § 43 II 12 A# auch anders erfüllt
werden kann als durch Besuch der öffentlichen Volksschule. Man er-
kennt, daß die für das Prinzip des Abs. 2 bzw. F 43 zitierten meist
gebrauchten Bezeichnungen „allgemeine Schulpflicht“ oder „Schulzwang“
nicht völlig genau sind; schärfer trifft das Wesen der Sache der Aus-
druck Unterrichtszwang. Die öffentlichen Volksschulen sind keine
Zwangsschulen, deren Besuch durch ein unbedingtes Rechtsgebot vor-
geschrieben wäre. Es besteht überhaupt kein Schulzwang, indem nirgends
angeordnet ist, daß die notwendigen Elementarkenntnisse den Kindern
auf einer „Schule", d. h. einer organisierten Unterrichtsanstalt bei-
gebracht werden müssen, — wohl aber gilt Unterrichtszwang: die
öffentlichrechtliche Verpflichtung der Eltern und sonstigen Erziehungs-
berechtigten, ihren Kindern das durch Abs. 2 bezeichnete Mindestmaß
von Bildung auf irgend einem Wege — durch den öffentlichen oder
privaten, schulmäßigen oder nicht schulmäßigen Unterricht — zu ver-
schaffen. Ein Zwang zur Benutzung der öffentlichen Volksschule tritt
nur subsidiär, nämlich gegen die ein, welche ihre Kinder auf einem
andern Wege als auf diesem nicht unterrichten lassen wollen oder können.
Die Materie des Unterrichtszwanges harrt noch ihrer gesetzlichen
Regelung, so daß, in Gemäßheit des oben S. 368 erwähnten, unten bei
Art. 26 näher zu betrachtenden Grundsatzes, Art. 21 Abs. 2 suspendiert
ist und statt seiner die einschlägigen Normen des älteren Rechts vor-
läufig weitergelten. Diese Tatsache hat jedoch nur formelle Bedeutung,
da jene älteren Normen von dem, was Abs. 2 vorschreibt, sachlich nicht
abweichen. Abs. 2 brachte seinerzeit nichts materiell Neues — auch
nicht für die 1866 erworbenen Provinzen — und wird daher auch
das einst zu seiner Aktualisierung und Ausführung ergehende Gesetz
nichts Neues bringen.