410 Artikel 23. Begriff und Wesen der Schulaufsicht.
der Beaufsichtigte, dem andern, dem Beaufsichtigenden, untergeordnet,
aber ihm gegenüber selbständig ist. Die beaufsichtigte Tätigkeit erscheint
als Autonomie, denn sie ist nicht Tätigkeit des untergeordneten Gemein-
wesens für das übergeordnete, sondern Tätigkeit des ersteren für sich
selbst; — aber als eine beschränkte Autonomie, sofern die in ihr liegende
Freiheit keine absolute, kein reines Dürfen, sondern zugleich ein Sollen,
Recht und zugleich Pflicht ist.
Diese Pflichtstellung des beaufsichtigten Selbstverwaltungsträgers
gegenübeer dem höheren, aussichtsführenden Gemeinwesen bedeutet
andererseits nicht bedingungslose Unterordnung. Die Ausfsichtsgewalt
schließt das Recht in sich, auf die beaufsichtigte Verwaltung ein-
zuwirken, soweit dies erforderlich ist, um diese bei ihrer Pflicht zu
halten, nicht aber, sie darüber hinaus nach Gutdünken zu leiten oder
gar sie zu verdrängen und sich an ihre Stelle zu setzen (vgl. Anschütz,
Vurch 11 531 f., Schoenborn, Das Oberaussichtsrecht des Staates im
modemnen deutschen Staatsrecht (1906), insbesondere bff., 26ff., 34 f.,
namentlich aber die Gegenüberstellung von „Aufsicht" und „Subordi-
nation“ bei Preuß, Städtisches Amtsrecht 296 ff., 307 ff.; Recht der
städtischen Schulverwaltung 43). Wahre Aussicht in diesem Sinne
entspringt aus dem Verhältnis des Staates zur Kirche (kirchenpolitische
Aufsichtsgewalt, s. oben 315 ff., 328ff., des Reichs zu den Einzelstaaten
(Reichsaufsicht; Art. 4, 17, 7 Nr. 3 RV), des Einzelstaates zu den Ge-
meinden (Kommunalaufsicht). Überall beruht die Aufsichtsgewalt des
Höheren auf der Voraussetzung und Anerkennung der rechtlichen Selb-
ständigkeit des Niederen; diese Selbständigkeit wird durch das Dasein
der Aufsicht nicht verneint, sondern gerade bejaht, — wenn auch be-
schränkt.
Der vorstehend skizzierte Begriff der Aussicht findet, wie ins-
besondere der Vergleich mit den angegebenen typischen Verkörperungen
lehrt, auf die Machtvollkommenheiten, deren sich die preußische Unter-
richtsverwaltung unter dem zusammenfassenden Titel der „Schulaufsicht"
erfreut, nur sehr teil- und bedingungsweise Anwendung. Diese „Schul-
aufsicht“ ist teils mehr, teils etwas anderes als jene echten Aufsichts-
gewalten; mehr namentlich und etwas anderes als die Auf-
sicht des Staates über die Selbstverwaltung der Gemeinde,
die Kommunalaussicht.
Echte Aufsicht kann die Schulaufsicht nur sein, wenn das, was
beaussichtigt“ wird, also die unmittelbare Verwaltung des Schul= und
Unterrichtswesens, Tätigkeit einer vom Staate verschiedenen Persönlich-
keit, also etwa einer Privatperson oder namentlich der Gemeinde ist.