Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Die deutsche Politik Preußens und die Verfassungsfrage. 29 
Oncken) festgestellt gelten, daß die ersten entscheidenden Schritte auf 
dem Wege zum Konstitutionalismus nicht, wie man es früher ansah 
(v. Sybel, Busch), erst am oder nach dem 18. März, unter den 
schreckenden Einwirkungen des Berliner Aufstandes, sondern vorher ge- 
schehen, und daß sie überhaupt nicht durch die revolutionären Stürme 
jener Tage, durch die Absicht innerpolitischer Beruhigung, sondern durch 
zwingende Rücksichten auswärtiger Natur determiniert worden sind: 
durch die Forderungen der deutschen Politik, die zu führen man 
sich in Berlin gegen das Frühjahr 1848 hin entschlossen hatte. Die 
treibende Ursache des Uberganges zum konstitutionellen System ist nicht 
in der persönlichen Schwäche des Königs gegenüber der Revolution, 
sondern in seinem „latenten deutschen Gedanken“ (Bismarck, Gedanken 
und Erinnerungen 1 54) zu suchen. 
Der „deutsche Gedanke“: der Ehrgeiz, den Deutschen Bund zu 
verbessern und dabei gleichzeitig die Machtstellung Preußens in diesem 
Bunde zu erhöhen, ist in Friedrich Wilhelm IV. nicht erst in jenen 
Märztagen von 1848, da er sich zu einem entschlossenen Vorgehen in 
der deutschen Frage anschickte, erwacht. Er war schon lange vorher, 
schon in den ersten Jahren seiner Regierung, in ihm lebendig, er offen- 
bart sich namentlich in den von Preußen im Herbst 1847 eingeleiteten 
Verhandlungen mit Osterreich über Reformen des Deutschen Bundes, 
wobei der General v. Radowitz als preußischer Unterhändler auftrat. 
Damals ist freilich von Konzessionen an den Konstitutionalismus noch 
nicht die Rede gewesen; warum nicht, ist deutlich: das Preußen, 
welches mit dem vormärzlichen Kaiserstaate, mit dem Osterreich Metternichs 
und mit ihm allein den Deutschen Bund reformieren wollte, hatte es 
nicht nötig, zu diesem Zwecke konstitutionell zu werden, vielmehr verbot 
ihm die Rücksicht auf den von Grund aus antikonstitutionellen Bundes- 
genossen, die Annahme des konstitutionellen Systems überhaupt in Betracht 
zu ziehen. Der Gedanke, in Sachen der Bundesreform ausschließlich 
mit Osterreich zusammenzugehen, erwies sich nun als unfruchtbar. 
Jene Verhandlungen zerschlugen sich. Die preußische Regierung kam 
auf dem Wege, den sie vor sich sah, nicht weiter, und zwar aus dem 
einfachen Grunde nicht, weil Osterreich nicht sowohl von der damals 
geplanten, als von jeder Bundesreform eine Schwächung seiner deutschen 
und eurppäischen Machtstellung zugunsten Preußens besorgte und deshalb 
an keiner interessiert war. Daher, und vollends nachdem das alte 
Osterreich in der Wiener Märzrevolution zusammengebrochen war, 
entschloß man sich in Berlin zu einem Systemwechsel. Man ließ 
Osterreich vorläufig fallen und beschloß, sich in der Behandlung der
	        
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