Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 27. Meinungsäußerungs- und Bersammlungsfreiheit. 509 
Gesetz den Versammlungen und Vereinen gewährt. Diese Rechtstat- 
sache wird in der Literatur des RVG meistens nicht oder doch nicht 
ausreichend berücksichtigt (vgl. z. B. Delius, Vereins= und Versammlungs- 
recht 295 ff., StierSomlo Kommentar zum RVGG# 62fff., richtig dagegen 
Wolzendorff a. a. O.), mit der Folge, daß polizeiliche Beschränkungen 
der Meinungsäußerungsfreiheit, welche vor dem RVG partikularrecht- 
lich zulässig sein mochten, unrichtigerweise auch unter der Herrschaft des 
RVG noch für statthaft erklärt werden. 
Von den durch das RVG eingeführten Vergünstigungen kommt 
für die vorliegende Frage namentlich in Betracht die Einschränkung der 
allgemeinen (d. h. nicht spezifisch vereins= und versammlungsrecht- 
lichen) Befugnisse der Polizei. Diese Befugnisse (A#LR # 10 II 171) 
sind durch das R## den Vereinen gegenüber vollständig außer Kraft 
gesetzt, den Versammlungen gegenüber nur in den Schranken des 
& 1 Abs. 2 RVG: 
„Die allgemeinen sicherheitspolizeilichen Bestimmungen des 
Landesrechts finden Anwendung, soweit es sich um die Ver- 
hütung unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der 
Teilnehmer an einer Versammlung handelt" 
aufrechterhalten (s. unten bei Art. 29, 30 S. 523, 5241). Uber diese Schranken 
hinausgehende, insbesondere rein ordnungspolizeiliche Maßregeln sind 
gegenüber Versammlungen und allem, was einen Teil ihrer Tätigkeit 
bildet, unzulässig. Danach ist die Frage zu beantworten, ob Polizei- 
verordnungen und erfügungen der oben 501, 502, 508 angegebenen 
Art auch dann statthaft sind, wenn die von ihnen verbotenen bzw. 
beschränkten Akte der Meinungsäußerung innerhalb einer Versammlung, 
somit im Herrschaftsbereich des RV, betätigt werden. Die Frage ist zu- 
nächst schlechthin zu verneinen, soweit es sich um nichtöffentliche 
Versammlungen und um öffentliche Versammlungen im geschlossenen 
Raum (RVG 8) handelt, da nicht einzusehen ist, inwiefern das Halten 
von Reden, das Entfalten von Fahnen usw. unmittelbar Leben und 
Gesundheit der Versammlungsteilnehmer gefährden soll (richtig Wolzen- 
dorff a. a. O. 275, 276). Anders liegt allerdings die Sache bei 
öffentlichen Versammlungen und Aufzügen unter sreiem Himmel (RVG 
87, 9 Abs. 2). Da solche Versammlungen und Aufzüge der polizei- 
lichen Genehmigung bedürfen, welche wegen „Gefahr für die öffent- 
liche Sicherheit“ (a. a. O. K7 Abs. 2) also nicht nur wegen Gefährdung 
des Lebens und der Gesundheit der Teilnehmer versagt werden kann, 
da ferner die Kompetenz zur Versagung der Genehmigung die zur 
bedingungsweisen Erteilung derselben in sich schließt (vgl. die Kommentare
	        
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