Verfassungsurkunde oder Einzelgesetze? 33
verneinen das für die Zeit bis zum Rücktritt des Ministeriums Arnim,
29. März 1848; erst das darauf folgende Ministerium Camphausen-
Hansemann habe den Erlaß einer Verfassungsurkunde, und zwar im
Wege der Vereinbarung mit einer eigens zu diesem Zwecke zu berufenden
parlamentarischen Versammlung auf sein Programm gesetzt. Wie ich
meine, hat aber die Absicht, eine kodifikatorische Verfassungsurkunde —
sei es durch Vereinbarung, sei es durch einseitige königliche Ver-
leihung — zu schaffen, schon vor dem Ministerwechsel bestanden. Wenn,
wie zuzugeben ist, die Märzverheißungen nur von einer konstitutionellen
Verfassung, nicht aber von einer Verfassungsurkunde reden, so erklärt
sich dies einfach daraus, daß man unter den obwaltenden Verhältnissen
eine solche Urkunde für selbstverständlich hielt. Nach den damals
herrschenden politischen Anschauungen galt ein geschriebenes Staats-
grundgesetz, eine „Konstitution“, eine „Charte“ als Requisit konstitutioneller
Korrektheit, von dessen Unentbehrlichkeit Freunde wie Feinde der
konstitutionellen Staatssorm gleicherweise überzeugt waren; glaubte
doch insbesondere auch König Friedrich Wilhelm IV., wie seine Thron-
rede vom 11. April 1847 (oben 25, 26) beweist, das Wesentliche des
Konstitutionalismus darin erblicken zu sollen, daß das Land statt durch
den König durch „ein beschriebenes Blatt“, also eine Verfassungsurkunde,
regiert wird. Ein Konstitutionalismus ohne Konstitution, die stückweise
Einführung einzelner konstitutioneller Einrichtungen durch unverbundene
Spezialgesetze, wie sie (vgl. Seitz a. a. O. 8) der Ministerpräsident
v. Arnim geplant haben soll, hätte dem Geist der Zeit nicht als richtiger
Konstitutionalismus gegolten. Von diesem Zeitgeist wollte doch aber
die Regierung sich treiben lassen, sie wollte aus den oben dargelegten
Gründen mit dem Märzwinde segeln, — und wenn sie das wollte,
wenn sie den König eine „konstitutionelle Verfassung auf breitester
Grundlage“ verheißen ließ, dann mußte sie auch die Kodifizierung dieser
Verfassung, die Verfassungsurkunde wollen. Und daß dies, trotz
entgegenstehender eigener Außerungen aus späterer Zeit (Seitz a. a. O. 9),
auch Graf Arnim schon gewollt hat, geht daraus hervor, daß er am
23. März 1818 Dahlmann nach Berlin berief, um bei der Ausarbeitung
„des Entwurfs einer preußischen konstitutionellen Verfassung“ mitzu-
wirken (Seitz 9, Mähl, Die Uberleitung Preußens in das konstit. System
49). Seitz erwähnt diese Tatsache, aber nicht vollständig. In dem
von dem Biographien Dahlmanns, Springer (Leben Dahlmunns 2 213)
wiedergegebenen Berufungsschreiben an Dahlmann heißt es: „Die
Regierung hat ein großes Feld Arbeit vor sich. Zunächst handelt es
sich für uns um ein neues Wahlgesetz und dann um den Entwurf
Anschütz, Preuß V erfassungs-Urkunde. 1. Band. 3