518 Art. 29, 30. Vereins- und versammlungsrechtliche Reichsgesetze. Das RVG.
politische Vereine) ist in anderem Zusammenhange — oben bei Art. 12,
204ff. — eingehend besprochen worden.
2. Das Reichsvereinsgesetz. — Von seiner Zuständigkeit, das
Vereins- und Versammlungswesen, insbesondere nach seiner öffentlich-
rechtlichen Seite zu ordnen — RV Art. 4 Nr. 16 — hat das Reich
viel später Gebrauch gemacht als von der verwandten, gleichfalls
auf Art. 4 Nr. 16 beruhenden Kompetenz auf dem Gebiete des Preß-
wesens. Während das Preßrecht schon durch das Prh vom 7. Mai 1874
eine erschöpfende Regelung von Reichswegen erfahren hatte, blieb
das Vereins- und Versammlungsrecht in der Hauptsache noch lange
partikularrechtlich geordnet; die Reichsgewalt beschränkte sich auf den
Erlaß von Einzelgesetzen:
Reichstagswahlgesetz vom 31. Mai 1869, & 17,
Gew O vom 21. Juni 1869, §§ 152, 153,
StrB f 128, 129,
Mil StrG B vom 20. Juni 1872, §F 101,
Mil G vom 2. Mai 1874, §5 49 Abs.2,
Gesetz betreffend das Vereinswesen vom 11. Dezember 1899
(Rel 699),
und gelangte, nach mehreren vergeblichen Anläufen (vgl. Stier-Somlo,
Kommentar zum RVMGöff.), erst im Jahre 1908 zur Kodifikation auch
dieser Materie: diesem Jahre entstammt das Vereinsgesetz vom
19. April 1908 (R#V0).
Das RVG enthält die Anerkennung der Vereins- und Versamm-
lungsfreiheit und eine erschöpfende Ordnung der polizeirechtlichen Be-
schränkungen dieser Freiheit. Es tritt an Stelle der Partikulargesetze,
welche seine Materie bisher regelten: in Preußen also insbesondere an
Stelle des Pr VWG und der Art. 29, 30, zu deren Ausführung das
Pr VG ergangen war. Die Art. 29 und 30 sind durch den oben S. 513
wiedergegebenen § 1 Abs. 1 Satz 1 RVG aufgehoben; die Vereins- und
Versammlungsfreiheit beruht heute, wie die Preßfreiheit (oben S. 503),
in Gewähr und Beschränkung auf dem Reichsrecht.
Die Gewähr, RVG §1 Abs. 1 Satz 1, bezieht sich nur auf die
Inländer, die Reichsangehörigen. Sie unterscheidet sich hierin zwar
nicht von den Art. 29 und 30 („Alle Preußen "), wohl aber von
dem Pr VW, dem eine unterschiedliche Behandlung von In- und Aus-
ländern fremd ist, sowie von andern, auf bürgerliche Rechte bezüglichen
Bestimmungen der Verfassung, z. B. Art. 5, 6, 11, 12 (oben S. 99ff.)
und der Reichsgesetze (z. B. das PrG, die GewO, das G. betr. die
Gleichberechtigung der Konfessionen vom 3. Juli 1869; vgl. oben 102,