Artikel 32. Begriff und Wesen des Petitionsrechts. 545
gleichartig. Es ist seinem Wesen nach eine Spielart der Freiheit der
Meinungsäußerung, — ein subjektives Recht ebensowenig und ebensosehr
wie diese oder wie die Religions-, Versammlungs-, Vereinsfreiheit
(ogl. oben 135, 144, 190ff., 500, 527): soweit ein Recht, ein nega-
tives Recht. Das Petitionsrecht ist aber zugleich — und hierin weicht
seine rechtliche Struktur von jenen andern, rein negativ gearteten Frei-
heiten ab — ein subiektiv-öffentliches Recht positiver Art (Jellinek
a. a. O., Meyer-Anschütz 817, Giese, Die Grundrechte (1905] 123,
Rosegger a. a. O. 22 ff.), welches gerichtet ist auf ein bestimmtes Tätig-
werden des Staates, nämlich auf Entgegennahme und vorschriftsmäßige
Erledigung der Petition durch das angerufene Staatsorgan.
Die Frage, ob ein solcher Anspruch schon auf Grund der bloßen
verfassungsmäßigen Garantie des Petitionsrechts allgemein bestehe,
also mit jeder Petition ohne weiteres verbunden sei (übereinstimmend
Jellinekl, System 131 und — weniger bestimmt — Allgem. Staatsl.
774, Meyer-Anschütz und Rosegger a. a. O., aM v. Seydel, Bayer.
StR 1 362, Sarwey, Württ. StR 1 187, Loening, Värch 13 18, Giese
a. a. O. 123), ist zu verneinen. Art. 32 enthält nicht den Rechtssatz,
daß jedes Staatsorgan die an seine Adresse gerichteten Petitionen zu
erledigen überhaupt und insbesondere dem Petenten gegenüber ver-
pflichtet ist. Solche Pflicht bedarf vielmehr besonderer Begründung.
Sie besteht nur, soweit sie durch die Gesetze und Verordnungen über
die Tätigkeit der Staatsorgane statuiert ist (Loening a. a. O. 18, Giese
a. a. O. 123). Damit ist indessen dem Art. 32 die positive Bedeutung
keineswegs abgesprochen. Diese Bedeutung liegt darin, daß derjenige,
welcher einen Willensträger des Staates mit einer Petition anruft,
befugt ist, zu verlangen, daß der Angerufene mit der Petition so ver-
fährt, wie es nach Gesetz und Recht seine Pflicht ist. Insofern ist das
Petitionsrecht allerdings „dem Anspruch auf Rechtsschutz analog" (Meyer-
Anschütz 817, vgl. auch oben 96 und 148). Nur ist stets zu beachten,
daß der gegen die Justiz gerichtete Anspruch auf Rechtsschutz i. e. S.
unmittelbar auf der Verfassung Art. 7 (bzw. auf GVG K5 16, s. oben
148, 149), beruht, während die sonstigen, im Petitionsrecht zusammen-
gefaßten Schutzansprüche durch Art. 32 nicht konstituiert, sondern nur
in dem Maße, wie sie sich aus andern Normen herleiten lassen,
garantiert werden.
Die Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte sind zur An-
nahme und Erledigung der bei ihnen angebrachten formellen Be-
schwerden (Rekurse) und Klagen allgemein verpflichtet. Dagegen besteht
für den Landtag eine Pflicht, Petitionen entgegenzunehmen und darüber
Anschütz, Preuß. Berfassungs= Urkunde. I. Band. 35