Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

576 Artikel 37. Die Ehrengerichte der Offiziere. 
vor den Ehrengerichten sich abspielende Verfahren ein Disziplinawer- 
fahren und die hierüber sowie über die Organisation und Zuständigkeit 
der Ehrengerichte erlassenen, in den Ehrengerichtsverordnungen ent- 
haltenen Vorschriften sind Disziplinarvorschriften. 
Die gemäß Art. 37 Satz 2 vom König, nunmehr nach RMilG # 8 
vom Kaiser zu erlassenden Disziplinarvorschriften dürfen sich nur an „das 
Heer“, also an Personen des Soldatenstandes richten und sind diesem 
gegenüber auch ohne ministerielle Gegenzeichnung unbedingt gültig und 
verbindlich, was von der herrschenden Lehre (vgl. die Darstellung derselben 
in dem mehrfach zitierten Buche von Marschall v. Bieberstein 9ff.) 
damit begründet wird, daß die kraft der Kommandogewalt erlassenen 
Anordnungen („Armeebefehle") der ministeriellen Gegenzeichnung über- 
haupt nicht bedürfen, von v. Marschall a. a. O. 371 ff. abweichend damit, 
daß die Akte der Kommandogewalt zwar von den Verfassungsvorschriften, 
welche zur Gültigkeit der Regierungsakte des Königs bzw. Kaisers die 
Gegenzeichnung fordern (Preußische Verfassung Art. 44, RV. Art. 17) 
nicht ausgenommen, beim Fehlen der Gegenzeichnung jedoch nicht schlecht- 
hin nichtig, sondern jedenfalls für solche Personen, denen das Recht, 
die sie angehenden Befehle der vollziehenden Gewalt auf ihre formelle 
Rechtmäßigkeit zu prüfen, versagt ist — namentlich also für die zu unbe- 
dingtem Gehorsam gegenüber den Befehlen des Vorgesetzten verpflichteten 
Militärpersonen — verbindlich seien (Näheres über die Bedeutung der 
ministeriellen Gegenzeichnung und die Theorie v. Marschalls vgl. bei 
Art. 44). 
Die militärischen Disziplinarvorschriften, also auch die Ehrengerichts- 
verordnungen, können nur Militärpersonen, nicht auch außerhalb der 
militärischen Kommando= und Disziplinargewalt stehende Personen ver- 
pflichten. So ist es ihnen z. B. versagt, Zivilpersonen mit der Ver- 
bindlichkeit zu belasten, sich von den militärischen Ehrengerichten als 
Zeugen vernehmen zu lassen. Eine solche Pflicht kann nur durch Gesetz 
begründet werden; die durch Art. 37 Satz 2, jetzt RMil 5 8 delegierten 
Verordnungsgewalten reichen hierzu nicht aus (ebenso: v. Seydel, Staats- 
rechtl. und polit. Abhandlungen 154, v. Marschall a. a. O. 462 ff.). Ein 
Gesetz einschlägigen Inhalts ist die KO vom 18. Juli 1844 betr. die 
allgemeine Verpflichtung zur eidlichen Vernehmlassung als Zeuge in 
ehrengerichtlichen Untersuchungssachen (G 299), welche mit der Kraft 
eines formellen Gesetzes — und zwar, weil Militärgesetz im Sinne des 
Art. 61 RV, eines Reichsgesetzes (M v. Marschall a. a. O. 463) — 
noch heute in Geltung steht.
	        
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