Zweiter Anhang. 613
Titel VII. Von der Finanz-Berwaltung.
#5 70. Alle Einnahmen und Ausgaben des Staats müssen für jedes Jahr
im voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat gebracht werden. Letz-
terer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt.
5 71. Steuern und Abgaben für die Staats-Kasse dürfen nur, so weit sie in
den Staatshaushalts-Etat ausgenommen oder durch besondere Gesetze angeordnet
sind, erhoben werden.
5# 72. In Betreff der Steuern können Bevorzugungen einzelner Stände
oder Personen nicht einge führt werden.
Das bestehende Steuer-System soll einer Revision unterworfen und dabei
jede solche Bevorzugung abgeschafft werden.
# 73. Gebühren können Staats- oder Kommunal-Beamte nur auf Grund
von Gesetzen erheben.
s 74. Die Aufnahme von Anleihen für die Staatskasse sindet nur auf Grund
eines Gesetzes statt. Dasselbe gilt von der Ubernahme von Garantieen zu Lasten
des Staats. * . »
§75.DieRechnungenüberdenStaats-Haushaltwerdenvoti.detObers
Rechnungskammer geprüft. Die allgemeine Rechnung über den Staats--Haus-
halt jedes Jahres wird von der Ober-Rechnungskammer den Kammern vorgelegt.
Zu Etats-Uberschreitungen ist die nachträgliche Genehmigung der Kammern
erforderlich.
Allgemeine Bestimmungen.
#6# 76. Ein die Verfassung abänderndes Gesetz muß in jeder Kammer durch
eine Stimmen-Mehrheit von mindestens zwei Dritteilen angenommen sein. Ein
Kammer-Beschluß über einen solchen Gesetz-Vorschlag ist nicht anders gültig, als
wenn an der Beschlußnahme mindestens die Hälfte der Mitglieder der Kammer
Teil genommen hat.
5*w77. Nach erfolgter Annahme des gegenwärtigen Verfassungs-Gesetzes wird
der König in Gegenwart der zur Vereinbarung der Verfassung berufenen Ver-
sammlung eidlich versprechen, die Verfassung und die Gesetze des preußischen
Staates aufrecht zu erhalten und zu schützen. .
Dasselbe eidliche Versprechen wird der jedesmalige Thronfolger vor den
vereinigten Kammern abgeben, welche, wenn sie nicht versammelt oder nicht
auf einen früheren Tag berufen sind, am zwanzigsten Tage nach dem Regierungs-
wechsel ohne Berufung zusammentreten.
5 78. Die Mitglieder der beiden Kammern, alle Staats-Beamte und das
Heer haben dem Könige und der Verfassung Treue und Gehorsam zu schwören.
’ §79.SolltendurchdiefürDeutschlandfestzustellendeVerfassungAbi
änderungen des gegenwärtigen Verfassungs-Gesetzes nötig werden, so wird der
König dieselben anordnen und diese Anordnungen den Kammern bei ihrer nächsten
Versammlung mitteilen. Die Kammern werden dann Beschluß darüber fassen,
ob die vorläufig angeordneten Abänderungen mit der deutschen Verfassung in
Ubereinstimmung stehen.
5 80. Bis zum Erlaß eines neuen Wahlgesetzes bleiben für die Wahlen
zur zweiten Kammer die §# 1—12 des Wahlgesetzes vom 8. April 1848 in Kraft.
Für die Wahlen zur ersten Kammer werden bis dahin von der Regierung nach
Maßgabe der Bevölkerung 180 möglichst gleiche Wahlbezirke gebildet. In iedem
solchen Bezirke wird die Wahl, unter Leitung eines Regierungs-Kommissars, durch
diejenigen Wahlmänner, welche die Mitglieder der zweiten Kammer zu wählen
haben, nach den Vorschriften des Wahlgesctzes vom 8. April 1848 vollzogen. Die
Normen für die Feststellung des zur Wahlbarkeit für die erste Kammer erforder-
lichen Einkommens, so wie die zur Vollziehung dieser Wahlen sonst noch erforder-
lichen Bestimmungen, bleiben einem vom Staate-Ministerium zu erlassenden
Reglement vorbehalten.