Zweiter Anhaug. 615
Art. 8. Die Strafen des bürgerlichen Todes und der Vermögens-Konfis-
kation finden nicht statt.
Art. 9. Die Auswanderungs-Freiheit ist von Staats wegen nicht beschränkt.
Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.
Art. 10. Die Freiheit der Presse und Rede darf durch kein Gesetz beschränkt
werden. Die Zensur bleibt für immer aufgehoben.
Art. 11. Der Mißbrauch der Presse und Rede wird nach den allgemeinen
Landesgesetzen bestraft. Bis zur erfolgten Revision des Strafrechts bestimmt
darüber ein besonderes transitorisches Gesetz.
Art. 12. Ist der Verfasser einer Schrift bekannt und in Preußen bei Ein-
leitung des gerichtlichen Verfabrens wohnhaft und anwesend, so dürfen Drucker,
Verleger und Verteiler, wenn deren Mitschuld nicht durch andere Tatsachen be-
ründet wird, nicht verfolgt werden. Auf der Druckschrift muß der Drucker oder
Serleger genannt sein.
Eine Sicherheitsleistung von Seiten der Schriftsteller, Verleger oder Drucker
darf nicht verlangt werden.
Art. 13. Alle Preußen sind berechtigt, sich friedlich und ohne Waffen in
geschlossenen Räumen zu versammeln. Wer eine Versammlung unter freiem
Himmel zusammenberuft, muß davon sofort der Ortspolizei--Behörde Anzeige
machen, welche dieselbe wegen dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung
und Sicherheit verbieten kann.
Art. 14. Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche
Erlaubnis zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, in
Gesellschaften zu vereinigen.
Art. 15. Die Bedingungen, unter welchen Korporationsrechte erteilt oder
verweigert werden, bestimmt das Gesetz.
Art. 16. Das Petitions-Recht steht allen Preußen zu. Petitionen unter einem
Gesamt-Namen sind nur Behörden und Korporationen gestattet.
Art. 17. Das Briefgeheimnis ist unverletzlich. Die bei strafgerichtlichen
Untersuchungen und in Kriegsfällen notwendigen Beschränkungen sind durch die
Gesetzgebung festzustellen.
Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf nur auf Grund eines
richterlichen Befehls vorgenommen werden.
Art. 18. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist un-
abhängig von dem religiösen Bekenntnisse und der Teilnahme an irgend einer
Religions-Gesellschaft. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf
dadurch kein Abbruch geschehen. — Die Freiheit des religiösen Bekenninisses und
der gemeinsamen öffentlichen Religions-Übung wird gewährleistet.
Art. 19. Jede Religions-Gesellschaft ist in Betreff ihrer inneren Angelegen-
heiten und der Verwaltung ihres Vermögens der Staatsgewalt gegenüber frei
und selbstständig.
Der Verkehr der Religions-Gesellschaften mit ihren Oberen ist unbehindert.
Der Erlaß und die Bekanntmachung ihrer Anordnungen ist nur denjenigen Be-
schränkungen unterworfen, welchen alle übrigen Veröffentlichungen unterliegen.
Art. 20. Das Kirchen-Patronat sowohl des Staates als der Privaten soll
aufgehoben werden. Die Aufhebung regelt ein besonderes Gesetz.
Art. 21. Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe wird durch deren Abschließung
vor dem dazu von der Staats--Gesetzgebung bestimmten Zivilstands-Beamten be-
dingt
Art. 22. Unterricht zu erteilen und Unterrichts-Anstalten zu gründen, steht
Jedem frei. Vorbeugende, beengende Maßregeln sind untersagt. Die Eltern
oder Vormünder sind verpflichtet, ihre Kinder oder Pflegebefohlenen in den Ele-
mentargegenständen unterrichten zu lassen. Die Befugnis der Eltern oder Vor-