Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Zweiter Anhang. 641 
Art. 89. Die Organisation der Gerichte wird durch das Gesetz bestimmt 
rt. 90. Zu einem Richteramte darf nur der berufen werden, welcher sich 
zu demselben nach Vorschrift der Gesetze befähigt hat. 
Art. 91. Gerichte für besondere Klassen von Angelegenheiten, insbesondere 
Handels- und Gewerbegerichte sollen im Wege der Gesetzgebung an den Orten 
errichtet werden, wo das Bedürfnis solche erfordert. 
Die Organisation und Zuständigkeit solcher Gerichte, das Verfahren bei den- 
selben, die Ernennung ihrer Mitglieder, die besonderen Verhältnisse der letzteren 
und die Dauer ihres Amtes werden durch das Gesetz festgestellt. 
Art. 92. Es soll in Preußen nur Ein oberster Gerichtshof bestehen. 
Art. 93. Die Verhandlungen vor dem erkennenden Gerichte in Zivil- und 
Stassachen sollen öffentlich sein. Die Offentlichkeit kann jedoch durch einen öffent- 
lich zu verkündenden Beschluß des Gerichts ausgeschlossen werden, wenn sie der 
Ordnung oder den guten Silten Gefahr droht. 
In anderen Fallen kann die Offentlichkeit nur durch Gesetze beschränkt 
werden. 
Art. 91. Bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, bei allen 
politischen Verbrechen und bei allen Preßvergehen, welche das Gesetz nicht aus- 
drücklich ausnimmt, erfolgt die Entscheidung über die Schuld des Angeklagten 
durch Geschworene. 
Die Bildung des Geschworenengerichts regelt das Gesetz. 
Art. 95. Es kann durch ein mit vorheriger Zustimmung der Kammern zu 
erlassendes Gesetz ein besonderer Schwurgerichtshof errichtet werden, dessen 
Zustandigkeit die Verbrechen des Hochverrats und diejenigen schweren Ver- 
brechen gegen die innere und äußere Sicherheit des Staats, welche ihm durch 
das Gesetz überwiesen werden, begreift. Die Bildung der Geschworenen bei diesem 
Gerichte regelt das Gesetz. 
Art. WG. Die Kompetenz der Gerichte und Verwaltungsbehörden wird 
durch das (Gesetz bessimmt. Uber Kompetenzkonflikte zwischen den Verwaltungs- 
und Gerichtsbehörden entscheidet ein durch das Gesetz bezeichneter Gerichtshof. 
Ar. 97. Die Bedingungen, unter welchen öffentliche Zwil- und Militär- 
beamte wegen durch Uberschreitung ihrer Amtsbefugnisse verübter Rechtsver- 
lotungen gerichtlich in Anspruch genommen werden können, bestimmt das Gesetz. 
Eime vorgangige Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehorde darf jedoch nicht 
verlangt werden. 
Titel VII. Von den nicht zum Richterstande gehörigen Staats- 
beamten. 
Nrt. . Die besonderen Rechtsverhältusse der nicht zum Richterstande 
gebörigen Slaatsbeamten, einschließlich der Staatsanwälte, sollen durch ein 
Gesetz geregell werden, welches, ohne die Regierung in der Wahl der ausführen- 
den Organe zweckwidrig zu beschraänken, den Slaatsbeamten gegen willkürliche 
CEntziehung von Amt und Einkommen angemessenen Schutz gewährt 
Titel VIII. Von den Finanzen. 
Nrt. 90.. Alle Emnahmen und Ausgaben des Staats müssen für jedes Jahr 
im Voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat gebracht werden. 
Leterer wird jahrlich durch ein Gesetz festgestellt. 
Nrt. 100. Steuern und Abgaben für die Staatskasse dürfen nur, so weit sie 
in den Staatehaushalts-Elat aufgenommen oder durch besondere Gesetze ange- 
ordnet sind, erhoben werden. 
Art. 101. In Betreff der Steuern können Bevorzugungen nicht eingeführt 
werden. 
Anschutnz, Prruß. Verfaffungs- Urkunde. I. Band. 41 
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