Entstehung des Oktroyierungsgedankens. 47
wortlichen Ratgeber zum ersten Male der Gedanke nahegelegt, nicht
nur die Nat Ver aufzulösen, sondermn auch gleichzeitig eine Verfassung
zu oktroyieren. Als Sprecher scheint der Flügeladjutant Edwin
v. Manteuffel figuriert zu haben. Er überreichte dem Könige (am 11.
Sept. oder kurz vorher, das Schriftstück ist nicht datiert) einen selbst-
geschriebenen Entwurf zu einem „Aufruf an mein Volk“, worin der
König kundtut, daß er die Nat Vers, deren Tätigkeit zur „Auflösung
der inneren Ordnung, Störung der allgemeinen Wohlfahrt, Verfall
unseres Ansehens, Herabwürdigung des preußischen Namens“ geführt
habe, auflöse und, „um einen einigermaßen haltbaren Zustand herzustellen“,
eine Verfassung oktroyiere — „proklamiere“", wie es wörtlich
heißt —, „von der Wir überzeugt sind, daß sie den Wünschen Unseres
getreuen Volkes im allgemeinen genug tut“". Am Schluß verheißt der
König, zum Oktroyierungs- den Revisionsgedanken gesellend: „Jeder
Punkt der von Uns gegebenen Verfassung soll einer Revision durch
die nun zu wählende Versammlung unterworfen werden“, — worauf
dann noch ein Appell an die Wähler folgt, ihre Stimmen nur „ver-
ständigen, gemäßigten und dem Staate ergebenen Männern“ zu geben.
Der König hat diesen Entwurf Manteuffels zwar nicht formell
genehmigt, aber — wie aus einer eigenhändigen, vom 11. September
datierten, Randbemerkung zu dem Schriftstück hervorgeht — grund-
sätzlich gutgeheißen und insbesondere den Oktroyierungsgedanken als
„Bedingung“ bezeichnet, unter der er ein neues Ministerium bilden
werde. Die Bedingung scheint dann aber, als die Neubildung in
Gestalt des Ministeriums Pfuel erfolgte (21. Sept.), nicht ausgesprochen
und der ganze Plan, Auflösung, Oktroyierung, Aufruf an das Volk,
zurückgestellt worden zu sein, wenigstens ist während der Dauer des
Ministeriums Pfuel davon nicht weiter die Rede, was auch bei der
nachgiebigen, jedem aktiven Vorgehen in der Verfassungsfrage abge-
neigten Gesamthaltung dieses Kabinetts nicht verwunderlich erscheint.
Erst unter dem folgenden Ministerium Brandenburg (seit dem 8. No-
vember, val. oben 43) erwacht der Oktroyierungsgedanke aufs neue,
diesmal aber nicht bei den unverantwortlichen, sondern bei den verant-
wortlichen und amtlichen Ratgebern des Königs, im Schoße des Staats-
ministeriums. Und nun zeigt sich die seltsame, aber bei der
wandelbaren Natur Friedrich Wilhelms nicht unerklärliche Erscheinung,
daß der König die Idee der Oktroyierung, auf die er wenige Wochen
vorher bereitwilligst eingegangen war, jetzt zunächst aufs schärfste be-
kämpft, ja gerade zu verabscheut, — ein Abscheu, der freilich nicht nur dem
Oktroyierungsgedanken als solchen, sondern vor allem dem galt, was